Der Lippenstifteffekt.
Corona, Krieg und Inflation. Durch die modernen Krisen haben die meisten Menschen immer weniger Geld, um sich größere Anschaffungen erlauben zu können. Urlaubsreisen, Möbel oder neue Geräte werden erstmal hinten angestellt. Doch es gibt ein Phänomen, welches zumindest in der Kosmetikbranche immer wieder auftauchen soll: der Lippenstifteffekt. Die einfache Erklärung: Weil man sich größere Dinge nicht leisten kann oder will, belohnt man sich mit kleineren Gütern. Besonders Kosmetikunternehmen verzeichnen in diesen Zeiten mehr Umsatz. Leonard Lauder, ehemaliger Geschäftsführer des Kosmetikherstellers Estée Lauder, beschrieb diesen Effekt auch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Doch ist das wirklich so? Ist der Lippenstifteffekt ein wirtschaftlicher Indikator in Krisenzeiten?
Corona verzerrt das Bild
Laut der GfK ist der Umsatz mit dekorativer Kosmetik während der Corona-Krise stark gesunken. Das liegt aber vor allem daran, dass Konsumenten wenig soziale Kontakte pflegen konnten und die Kosmetik durch das Tragen einer Maske weniger wichtig war. Im Laufe des Jahres 2022 wuchsen die Käuferzahlen wieder. Waren es 2021 noch sechs Millionen verkaufte Lippenstifte, wuchs diese Zahl im Jahr 2022 auf acht Millionen an. Das Besondere: Trotz der anhaltenden Krise ist der Umsatz bei Markenprodukten weiter stabil. Auch wenn vermehrt günstige Handelsmarken gekauft wurden, zog dies für bekannte Marken keine spürbaren Konsequenzen nach sich – im Gegenteil. Für Konjunkturexperte Guido Baldi ist diese Entwicklung jedoch mit Vorsicht zu genießen. »Die Erholung der Verkäufe von Lippenstiften im vergangenen Jahr würde ich in erster Linie auf den Nachholeffekt nach dem Abflauen der Pandemie zurückführen. Den Lippenstifteffekt würde ich eher als Nebeneffekt ansehen, der wohl auch zur Umsatzsteigerung beigetragen hat, aber deutlich weniger wichtig ist als der Nachholeffekt nach der Pandemie.«
Verpufft der Effekt?
Baldi sagt zwar »im Einzelhandel oder bei den Produzenten mag dieser Effekt durchaus wichtig sein«, doch in Sachen Konjunktur sieht es schon anders aus. »Aus der Sicht der Konjunkturanalyse messe ich dem Lippenstifteffekt keine allzu hohe Bedeutung bei. Er ist als Krisenindikator dann doch zu wenig verlässlich und ausgeprägt.« Prof. Jörg Funder, Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Worms, sieht den Lippenstifteffekt eher als eine »Koinzidenz«. Die Bezeichnung hat ihren Ursprung in einer Zeit, in der Frauenbilder noch sehr stereotypisch waren, so Funder. In der Psychologie wurde damals auf Frauen hingewiesen, die »auf der Suche nach einem verlässlichen Versorger waren. Deshalb mussten sich Frauen innerhalb einer Krise besonders schön machen«, meint Funder. »Zum Glück ist das Frauenbild heute ein anderes.«
Luxus pur trotz Krisen
Ein viel passenderer Ausdruck für die Entwicklung sei laut Funder »affordable luxury«. »In Krisenzeiten steigt das Sparverhalten an. Man will keine Unsummen ausgeben, möchte sich aber trotzdem etwas Gutes tun« lautet seine Erklärung. Zudem weist er darauf hin, dass nicht nur in Krisenzeiten mit diesem Effekt gespielt wird: »Wir sehen es an Ostern oder Weihnachten. Viele Discounter haben für die Feiertage besondere Marken, die sie als »Premium« oder »Gourmet« bezeichnen. Die Konsumgüter werden also durch das Packaging aufgewertet.« Dadurch können Nebeneffekte wie der Lippenstifteffekt verstärkt werden. Wir müssen uns wohl davon verabschieden, dass der Lippenstifteffekt ein verlässlicher wirtschaftlicher Indikator ist. Er ist ein Phänomen, das in Krisenzeiten auftritt, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Trotzdem kann man aus verschiedensten Aussagen herauslesen, dass man sich Nebeneffekte wie diesen durchaus zunutze machen kann, wenn auch in einem kleineren Rahmen.
Krisen bedeuten für Unternehmen und die Wirtschaft erst einmal nichts Gutes. Doch mit den richtigen Tricks kann man sich bestimmte Indikatoren wie den Lippenstifteffekt zunutze machen. Wir haben für dich ein paar kleine Tipps und Infos, wie du den Konsumenten vielleicht wieder zum Konsumieren motivieren könntest.
Krisen als Businesschancen
Starker Slogan
Eine gute Werbezeile kann helfen, um Konsumenten auch in einer Krise zum Kauf anzuregen. Ein einfaches Beispiel: »In solchen schwierigen Zeiten können Sie sich auch mal etwas Schönes gönnen.«
Packaging
In einer Krise kann man das Design seines Produkts nachbessern, um sich stärker von der Konkurrenz abzuheben. Denn wer sich eine Kleinigkeit gönnen will, der schaut auch auf die Verpackung.
Inhaltsstoffe
Wenn sich Menschen etwas Gutes tun wollen, achten sie auf hochwertige Inhaltsstoffe. Deshalb dem eigenen Produkt einen Feinschliff in Sachen Qualität geben. Der Kunde wird’s zurückzahlen!
Krisen erahnen
Ja, klingt einfacher als es ist, doch wenn man mit Wirtschaftsexperten im engen Austausch steht, kann man Krisen erahnen und schneller justieren als die Konkurrenz.