Aktuelle Zahlen lassen vermuten, dass sich die Handelsbranche in Deutschland nach den Einbußen durch die Pandemie langsam wieder erholt. Laut dem Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) soll das Bruttoinlandsprodukt 2021 im Vergleich zum Vorjahr wieder um 3,3 Prozent steigen. Für 2022 prognostiziert das ifo Institut ein wirtschaftliches Wachstum von 4,3 Prozent. Gewinner der Corona-Krise waren neben dem Online-Handel sowie Drogerie- und Supermärkten auch die Lebensmittel- Branche. Doch auch diese Bereiche hatten mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen. Wie attraktiv ist der Markt wirklich?
Los geht die Reise
Ob EDEKA, REWE oder ROSSMANN – sie alle werben mit Trainee-Programmen für Studis. Wie sieht die Branche aktuell für Berufseinsteiger aus? Die meisten Handelsunternehmen bieten Traineeprogramme für einen Zeitraum von 12 bis 24 Monaten an. Dabei werden die, für den jeweils gewählten Schwerpunkt, relevanten Arbeitsbereiche in dreimonatigem Wechsel durchleuchtet. Laut Paul Kallen, der sein Traineeprogramm in der EDEKA-Zentrale absolviert, sei dies der perfekte Rahmen, um sich mit der neuen Umgebung, den neuen Aufgaben und den Kollegen vertraut zu machen. Oft sind die Bereiche aber flexibel oder, wie bei Paul Kallen, sogar frei wählbar. Gerade im Handel ist eine produkt- und kundenbewusste Arbeitsweise sehr hilfreich. Julia Jaschkowitz, die als Trainee im Einkauf bei der REWE Group arbeitet, erzählt: »Am Anfang gibt es eine verpflichtende Marktphase, in der man mehrere Wochen direkt vor Ort im Markt arbeitet. Das hilft, um ein besseres Gefühl für die Produkte zu bekommen.« Anna-Lisa Dopheide hat ihr generalistisches Traineeprogramm unter anderem in den Abteilungen »Kampagnen und Employer Branding « und »Internationales Sortimentsmanagement « bei der Dirk Rossmann GmbH absolviert. Auch sie berichtet von sehr vielfältigen und verantwortungsvollen Aufgabenfeldern: »Neben Abstimmungen mit internen Schnittstellenabteilungen wie dem Produktmanagement oder der internen Grafikabteilung trat ich auch mit externen Agenturen und Dienstleistern in Kontakt. Während meiner Arbeit im internationalen Sortimentsmanagement, bekam ich wiederum die Möglichkeit, das Auslandsgeschäft besser kennenzulernen und die Sortimentsentwicklung zu begleiten.«
Schnell, Schneller, Handel
Gerade die Handelsbranche hat den Ruf, sehr schnelllebig zu sein – welche Skills sind dabei hilfreich? Anna-Lisa Dopheide und Julia Jaschkowitz sind sich einig – ohne Kommunikationsfähigkeit geht gar nichts. »Man sieht viel Neues, lernt viele neue Menschen und Produkte kennen, weshalb ein offenes Mindset gewünscht ist. Die Lust aufs Lernen ist dabei besonders wichtig«, so Julia Jaschkowitz. Aber auch das aktive Einbringen, das Teilen von Ideen und das Lernen aus Erfahrungen sei Voraussetzung für eine schillernde Zukunft. »Mit Engagement, Teamfähigkeit, Leidenschaft für die Branche und die eigene Arbeit bringt man eine solide Grundlage mit«, meint Paul Kallen. Je nach Schwerpunkt variieren diese Grundlagen natürlich. Für Anna-Lisa Dopheide sind im Marketing-Bereich gute analytische Fähigkeiten essentiell. Diese seien bei Projektarbeiten sehr nützlich. Professor Doktor Nektarios Bakakis lehrt an der Hochschule Worms Handelsmanagement und rät seinen Studierenden, beim Handel zu bleiben, um das Thema zu beherrschen. Im Master könne man sich dann spezialisieren.
Achtung! Es geht hoch hinaus
Berufseinsteiger stellen sich den Einstieg in ein neues Unternehmen oft komplex vor, gerade ohne vorherige Berufserfahrung in diesem Bereich. Doch Julia Jaschkowitz fiel der Einstieg in ihr Traineeprogramm leichter als gedacht: »Man hat keine abstrakten Aufgaben, da es alltägliche Produkte sind, mit denen man zu tun hat«, berichtet sie. Des Weiteren habe man in der Handelsbranche oft einen direkteren Bezug zu seiner Arbeit, da man das Ergebnis direkt im Alltag – beim Einkaufen zum Beispiel – sieht. Auch die Aufstiegschancen sind im Einzelhandel für Trainees sehr gut. »Das Traineeprogramm ist das perfekte Sprungbrett, um im Unternehmen Fuß zu fassen. Gegenüber dem Direkteinstieg bringt das Trainee viele Vorteile mit sich. Zum Beispiel, dass ich aktiv in verschiedenen Fachbereichen arbeiten kann und mich zudem mittels zahlreicher Seminare stetig weiterentwickle«, so Paul Kallen. Julia Jaschkowitz beschreibt es als eine Win-win-Situation, da das Unternehmen in seine Trainees investiert, wolle es diese natürlich behalten.
Zwischenstopp E-Commerce
Größter Profiteur der Corona-Krise war der Online- Handel. Laut Statista belief sich alleine in Deutschland der Umsatz des digitalen Handels 2020 auf 72,8 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Vorjahr stieg dieser um stattliche 23 Prozent. Professor Nektarios Bakakis berichtet: »Gerade im Pandemie-Jahr 2020 hat man gesehen, dass auch der Online-Handel mit Lebensmitteln gut funktioniert. Zwar haben diese nur knapp drei Prozent des Umsatzes ausgemacht – das hing allerdings eher mit dem Kauferlebnis zusammen.« Denn anders als beim Lebensmittelkauf bräuchten Kunden bei Textilien nicht unbedingt das Vor-Ort- Feeling. Mit knapp einem Viertel des gesamten Online-Umsatzes 2020 führt der Kleidungshandel laut Statista die Rangliste bei den beliebtesten Onlineprodukten hierzulande an. Direkt gefolgt von Elektro- und Telekommunikationsartikeln mit 23 Prozent Umsatzanteil. Diese Zahlen haben auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im E-Commerce. Neben dem Wirtschaftsfachwirt sind die Bereiche Produkt- und Online-Marketing oder Content-Management beliebte Jobs für Studierende der Wirtschaftswissenschaften.
Nichts für schwache Nerven
Zum Thema Berufseinstieg bei Onlineanbietern hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Wo früher oftmals nur Einsteiger mit ersten Berufserfahrungen im Marketing oder im kaufmännischen Bereich Chancen hatten, werden heute verschiedene Angebote für Studis bereitgestellt. Bei Zalando oder bonprix gibt es zum Beispiel bereits Trainee-Angebote und auch beim Marktführer Amazon können Studierende in den Online- Handel hineinschnuppern. Voraussetzungen sind neben analytischem Denkvermögen, Kunden- und Serviceorientierung auch gute Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch.
Allerdings könnte sich in den nächsten Monaten einiges am Konzept des Online-Handels ändern. Professor Bakakis bemängelt die fehlende Diskussion der Nachhaltigkeit im boomenden Markt: »Wir haben heute bei Textilien und Schuhen eine Retourenquote von 70 Prozent. Die Versandkosten werden den Konsument*innen nicht in Rechnung gestellt – viele Retouren werden vernichtet, da die erneute Aufbereitung der Ware noch mehr Kosten verursachen würden. Die Regierung reagiert nur langsam. Zukünftig wird die Produktversandsteuer deshalb ein wichtiges Thema werden.« Auf den Arbeitsmarkt haben die gravierenden Unterschiede zwischen On- und Offline-Handel bisher keine Auswirkungen. In beiden Bereichen würde man zukünftig Fachkräfte mit stationärer und nicht stationärer Erfahrung brauchen, so Bakakis.
Endstation Corona?
Die Pandemie hat auch vor der Handelsbranche keinen Halt gemacht. »Beim stationären Einzelhandel hat sich seit der Krise nicht viel verbessert. Viele kleine Einzelhändler*innen waren nicht auf digitale Alternativen vorbereitet. Sie haben keine Chance gegen große Onlinehändler«, so Professor Nektarios Bakakis. Wie die Präsenz zukünftig in den deutschen Innenstädten aussieht, wird auch von Regierungsentscheidungen abhängig sein. Zwar mussten Lebensmittel- und Drogeriemärkte nicht schließen, da sie zu den systemrelevanten Geschäften gehören, aber auch dort hat man die Auswirkungen, oft in Form von leeren Regalen, gespürt. Negative Folgen für Trainees hatte die Pandemie aber weniger. So habe sich laut Paul Kallen sogar vieles zum Positiven verändert. Die Arbeitsweisen im Unternehmen haben sich flexibilisiert. »Ich wurde zum größten Teil digital in die verschiedenen Themen eingearbeitet. Was anfangs noch sehr herausfordernd erschien, war aber letztlich durch den tollen Einsatz meiner Kolleg*innen kein Problem«, erzählt Anna-Lisa Dopheide. Konzepte wie Homeoffice sollen auch weiterhin eine Option für die Mitarbeiter bleiben. So wurden laut Julia Jaschkowitz bereits zu Anfang der Pandemie interne Mitarbeitergruppen gebildet, die sich zu dieser Thematik untereinander austauschen konnten. Für sie, im Einkauf, sei es aber dennoch wichtig, auch mehrere Tage in der Woche im Büro zu sein – Produkte, die potenziell ins Sortiment aufgenommen werden sollen, müssen vor Ort verkostet werden.
Erlebnispfad Handel
Heutzutage ist die Handelsbranche mehr als nur einkaufen und wieder verkaufen. So habe der Handel laut Bakakis viel zu bieten: »Von Logistik über die Verkaufsfläche im Online- oder Offlinehandel, dem Kundenkontakt oder dem Servicebereich – all das macht die Branche interessant.« Und auch die Verdienstmöglichkeiten können sich sehen lassen. Zwar gibt es Tariflöhne, aber nach einer Spezialisierung und ausreichend Engagement seien die Chancen sehr gut, weit über Tarif bezahlt zu werden, so Bakakis.