Aller Anfang ist yeah
So oder so ähnlich ist mein Gefühl, als ich die Zulassung zum Studium in den Händen halte. Als Erste und bis dato Einzige in der Familie bin ich plötzlich Anwärterin eines akademischen Titels! Damit verbunden kickt natürlich auch die eigene Erwartungshaltung, das Kapitel Hochschulabschluss richtig dufte über die Bühne zu bekommen. Die Schulnoten waren immer im okeyen Bereich – so ein bisschen Lernen mit gesteigertem Anspruch sollte also drin sein. Da mich reines Theoriegeplänkel so gar nicht abholt, ist meine Einschreibung an einer Fachhochschule die erste, absolut richtige Entscheidung. Hier gibt's nicht nur sensationell persönlichen Kontakt zu den Lehrenden, sondern auch noch überdurchschnittlich viel Praxis on top. Ich darf mich in kreativen Studienarbeiten austoben. Hier in Eigenregie, da als Teammitglied. Ganz ohne Theorie à la Klausuren-Bulimie-Lernen geht's dann aber doch nicht und so lande ich ziemlich schnell auf dem (Hosen-)Boden der Tatsachen. Wie geht das eigentlich, dieses Lernen? Und kann ich das überhaupt? Nicht umsonst heißt es bei Rotkäppchen »Geh nie vom rechten Weg ab!« Aber ist der richtige Weg wirklich der, den unsere Eltern vor uns gegangen sind? Prof. Annabell
Daniel beschäftigt sich an der LMU München mit Bildungsungleichheiten und erklärt: »Daten zeigen, dass es im Studium keine großen Leistungs-unterschiede zwischen Arbeiter- und Akademiker-Kindern gibt. Die eigentliche Schwelle macht sich vorher bemerkbar: Nämlich das Studium überhaupt erst einmal in Angriff zu nehmen.«
Kompetenzgerangel im eigenen Kopf
Ich würde jetzt gerne mein ganz persönliches »How to« zum Studieren als Arbeiterkind zum Besten geben. Aber am Ende ist's wie das Leben selbst: Seinen Weg findet jeder von uns leider nur über das altbekannte Trial and Error. Eine erhellende Überlebensweisheit hab ich dann aber doch: Zweifeln gehört dazu! Und mit dieser stehe ich nicht alleine da. Pablo Ziller arbeitet in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Arbeiterkind.de – Deutschlands größter Organisation für alle Erststudierenden aus Arbeiterfamilien – und findet: »Zweifel sind absolut normal. Was man unbedingt im Hinterkopf haben sollte ist, dass Uni und anschließendes Berufsleben in der Regel verschiedene Welten sind. Während des Studiums selbst ist die Studienberatung immer eine gute Anlaufstelle. Im Rahmen unserer Arbeit versuchen wir darüber hinaus, eine Gemeinschaft zu schaffen. Es gibt größere und kleinere Gruppen in rund 80 Städten innerhalb Deutschlands, die Gleichgesinnte verschiedener Altersgruppen vereinen. Hier finden Arbeiterkinder rund um das Thema Studium Unterstützung.«
Sind Vorbilder underrated?
In etwas abgewandelter Form zerbreche ich mir genau darüber ziemlich lange die Rübe. Immer wenn's im Studium richtig dicke kommt, ist da Mamas Stimme in meinem Kopf. »Du musst doch nicht studieren. Mit einer Ausbildung bist du nicht schlechter dran!« Sie ist Krankenschwester und hat damit einen wichtigen und grundsoldiden Abschluss in der Tasche. Recht hat sie also, aber ich will trotzdem alles anders machen. Also kurz mal toben, kräftig ins Verzweiflungstaschentuch schnäutzen und zurück in die Bücher. Was sich für Mama und Papa richtig angefühlt hat, muss nicht automatisch mein vorbestimmter Weg sein. Zum »Ausbrechen« braucht's allerdings ein bisschen Mut und 'ne Menge Ehrgeiz. Und in meinem Fall ganz viele Taschentücher. Hat ja jeder so sein Ventil.
Herkunft, Prägung und Papierkrieg
Ich will wissen, was die Herkunft damit zu tun hat. Ist die Fähigkeit, die akademische Laufbahn einzuschlagen, in unserem Erbgut festgeschrieben? »Die Gene sind natürlich nicht schuld, auch wenn die Zahlen das auf den ersten Blick vielleicht vermuten lassen«, erklärt Ziller. »Zum Einen ist der Verdienst in Arbeiterfamilien wesentlich geringer als bei Akademiker*innen. Damit verbunden steht die große Sorge im Raum, dass ein Studium den Geldbeutel sehr belasten könnte. Und das sowohl auf Seite der Kinder wie auch der Eltern. Oft herrschen in dieser Bevölkerungsgruppe außerdem Wissenslücken vor, welche Finanzierungsmöglichkeiten es in Deutschland überhaupt gibt, obwohl eben jene im internationalen Vergleich sehr gut sind. Nicht selten fehlen die Fertigkeiten, sich durch den Antrags-Dschungel zu kämpfen oder schlichtweg die Kenntnis darüber, dass das BAföG beispielsweise nur anteilig zurückgezahlt werden muss. Das würde an vielen Stellen bereits enormen Druck nehmen. Eltern, die selbst nicht studiert haben, wissen oft nicht um den Wert und die Sinnhaftigkeit eines Studiums. Dieser Faktor kann entsprechend nicht angemessen beurteilt und an die Kinder weitergegeben werden, weil eigene Erfahrungswerte diesbezüglich fehlen oder Karriere auch ohne studentischen Hintergrund möglich war. In Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, ob ein Arbeiterkind studiert also sehr stark vom Bildungsstand der Eltern abhängig. Es lässt sich ableiten, dass es Akademiker*innen-Kindern im Vergleich zu Kindern aus Nichtakademiker*innen-Familien um ein vielfaches leichter fällt, ein Studium aufzunehmen und es bis zur Promotion zu schaffen. Dabei ist es für die Gesellschaft wichtig, dass die Durchmischung im Bildungssystem stattfindet und alle Menschen den gewünschten Beruf erlernen können. Nicht alleine die Herkunft sollte darüber bestimmen, welchen Weg man später einschlägt«, so Ziller.
Gegenindikation Ausbildung?
Das lässt auf den ersten Blick so etwas wie Bashing sämtlicher Ausbildungsberufe vermuten. Nachdem ich mich selbst nach dem ersten Studienabbruch in einem handwerklichen Beruf versucht habe, liegt mir das allerdings fern. Trotzdem interessiert mich, ob es überhaupt gewünscht ist, dass allen Kindern unsere Hochschulpforten offen stehen. Schließlich sind die unbesetzten Ausbildungsstellen und der Fachkräftemangel in nicht akademischen Berufen ein großes Thema. Ziller argumentiert: »Letztendlich trifft man immer wieder auf diese Argumentation. Und natürlich merkt man den Mangel an Auszubildenden in den entsprechenden Berufen. Dass viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, hat allerdings auch eine demographische Ursache. Wir können als Gesellschaft darüber diskutieren, ob wir insgesamt zu viele Akademiker*innen ausbilden und könnten Maßnahmen ergreifen, um dem entgegen zu wirken. Nur stellt sich die Frage, ob das wirklich zielführend ist. Die Aufnahme zu einem Medizinstudium ist beispielsweise stark begrenzt. Wenn wir unter den Ärzt*innen, die wir ausbilden, nur gewissen Eliten den Zugang gewährleisten, dann ist diese Handhabe einer demokratischen Gesellschaft wenig würdig. Genauso sollte es jeder Arzttochter und jedem Arztsohn offen stehen, einem handwerklichen Beruf nachzugehen, wenn der Wunsch danach gegeben ist. Das ist in der Realität natürlich eher selten, was auch mit dem gewohnten Einkommen, das erwirtschaftet werden kann, zusammen hängt. Das Thema ist allerdings sehr komplex und bedingt eine größere Gerechtigkeitsdebatte in Bezug auf faire Löhne. Wir sehen es im Bereich der Pflege, in dem immer wieder höhere Gehälter gefordert werden. Natürlich ist bei unverhältnismäßiger Bezahlung kein Anreiz gegeben, eine solche Beschäftigung aufzunehmen«, so Pablo Ziller von Arbeiterkind.de.
Gute Dinge entstehen selten in der Komfortzone
Ich persönlich finde »Das haben wir schon immer so gemacht!« ist kein Garant zum Glücklichsein. Manchmal muss man sich einfach ins kalte Wasser wagen, selbst wenn es erstmal nur der kleine Zeh ist, der vorangeht. Und vielleicht hilft ja schon etwas mehr Aufklärung? »Es gibt verschiedene Studien, die Bezug zum Übergang zwischen Schule und Hochschule nehmen. Sie belegen, dass es mehr Informationen braucht, wenn genau diese im Umfeld fehlen. Das kann beispielsweise über Workshops in Schulen gewährleistet werden«, so Prof. Annabell
Daniel. Arbeiterkind.de hat sich genau das auf die Fahne geschrieben. »Einerseits gehen wir dem klassischen Engagement nach – sind also mit
Ehrenamtlichen in den Schulen, setzen uns aktiv mit jenen Altersgruppen auseinander, die vor dieser Entscheidung stehen und sensibilisieren mithilfe eigener Erfahrungen für das Thema ›Studieren als Arbeiterkind‹. Oft geht damit ein gewisser Aha-Effekt einher, da die Schüler*innen oft gar nicht wissen, was genau hinter den verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten steckt. Andererseits machen wir durch unsere Öffentlichkeitsarbeit auf verschiedensten Ebenen (Schulen, Hochschulen, Ministerien, Politik und mediale Öffentlichkeit) auf Bildungsungleichheit aufmerksam, um mit Entscheidungsträgern an den richtigen Stellen aktiv handeln zu können«, erklärt Pablo Ziller.
Pauschalisieren ist niemals eine gute Idee und was bei mir als Erststudierende in der Familie gut ausgegangen ist, kann bei Arbeiterkind XY natürlich trotzdem in die Hose gehen. Aber diese Zeilen sollen trotzdem ein Appell sein, nie zu schnell den Kopf in den Sand zu stecken. Talfahrten gehören dazu. Laut Ziller ist es wichtig, niemals den Mut zu verlieren, den eigenen Weg zu verfolgen, selbst dann, wenn es schwierig ist und immer mal wieder danach aussieht, dass die Chance auf Erfolg eher gering ausfällt. Prof. Daniel rät, keine Scheu vor der Suche nach sozialer Unterstützung und offener Kommunikation mit Gleichgesinnten zu haben. Und meine ganz eigene Devise? Es geht nicht darum, woher du kommst, sondern wohin du gehst. Also schlag deine Rückschläge. Und erlaube dir trotzdem, auch mal zu stolpern.