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Was ihr wollt ♥

Offene Beziehung, Polyamorie, Situationship, Freundschaft+...Welche Beziehungsart ist die richtige für mich und welcher

Bindungstyp bin ich eigentlich? In diesen Fragen dreht sich alles um das Thema Liebe ♥.

Im Interview Frau  Dr. Sharon Brehm,  ♥-Coach und systemische Paartherapeutin

♥ Hallo Frau Dr. Brehm, wie haben sich alternative Beziehungstypen in den letzten Jahren gewandelt? Gibt es heutzutage mehrere als damals?
Während früher einzig Monogamie gesellschaftlich akzeptiert war, gibt es heutzutage auch Raum für andere Konstellationen: offene Beziehungen oder auch Polyamorie ist vielmehr im Mainstream angekommen. Doch auch die Anforderungen an Personen in einer Beziehung haben sich verändert. Die klassische Rollenaufteilung, bei welcher der Mann der »Ernährer«  ist und die Frau sich um alle emotionalen Belange kümmert, wird nach und nach aufgeweicht.

♥ Was braucht es für eine glückliche und erfüllte Partnerschaft? Und wie kann man in einer lockeren Bindung glücklich sein?
Für die meisten braucht es dazu emotionale Sicherheit. Die definiert aber jede:r unterschiedlich. Manche brauchen dafür Loyalität und Ehrlichkeit, andere Akzeptanz und wieder andere Bestätigung. Haben wir diese emotionale Sicherheit nicht, greifen wir schnell zu unseren Schutzmechanismen. Dies ist meist für uns selbst und unser Gegenüber unangenehm bis schmerzhaft.
Umso bewusster und ehrlicher wir unsere emotionalen Bedürfnisse ansprechen und zeigen können, desto weniger Unmut taucht auf. Wichtig ist: Wir selbst tragen die Verantwortung für unsere emotionalen Bedürfnisse.

♥ In Ihrem Buch »Smart Loving« erzählen Sie von verschiedenen Bindungstypen. Können Sie diese kurz erläutern?
Die Bindungstypen klingen in der Fachliteratur oft wie Diagnosen. Doch unser Bindungsstil ist keine Krankheit. Er ist eher eine Beschreibung dafür, wie wir auf Nähe reagieren oder was für uns emotionale Sicherheit bedeutet.

Leader – der ängstliche Bindungsstil – sind oft sehr loyal und großzügig. Sie denken an andere und sind bereit, viel Liebe zu geben. Aber wenn ihre Verlustangst getriggert wird, beginnen sie zu klammern. Sie versuchen Gespräche zu initiieren, versuchen andere eifersüchtig zu machen oder beginnen auch mal zu nörgeln.
Rebels – der vermeidende Bindungsstil – besticht durch seine Autonomie und Unabhängigkeit. Diese Menschen kommen oft sehr gut mit sich alleine klar. Doch wenn man sie in ihrer Unabhängigkeit einschränkt, zu hohe Erwartungen an sie stellt oder ihre Bindungsangst hochkommt, fliehen sie eher. Sie beginnen zu rationalisieren, sich zurückzuziehen oder auch jemanden zu ghosten.
Artists – der ängstlich-vermeidende Bindungsstil – sind oft wahre Lebenskünstler:innen, die auch schon einige Hürden in ihrem Leben gemeistert haben. Leider haben sie oft erlebt, was zu viel Nähe, aber auch was Verlust und Distanz bedeutet.
Sie kennen sowohl Verlustangst als auch Bindungsangst. Oft neigen sie dazu, ihre eigenen Bedürfnisse nicht wahrzunehmen und reagieren für ihr Umfeld oft überraschend, wenn sie Grenzen setzen.
Healer – der sichere Bindungsstil – ist mit sich selbst und seiner Umwelt oft im Reinen. Healer haben oft das nötige Werkzeug, um selbst in emotional unsicheren Situationen eine gut passende Strategie zu wählen. Leider wird dieser Bindungsstil von den anderen Bindungsstilen im Dating-Game oft als »langweilig« wahrgenommen.

Situationship und Freundschaft plus, funktioniert das? Worin liegt der Unterschied?
Eine Freundschaft Plus entsteht oft aus einer Freundschaft heraus. Sie kann auch eine Situationship sein. Situationships bezeichnen eine Phase zwischen Dating – einem bloßen Kennenlernen – und einer Beziehung. Ob dies funktioniert, hängt natürlich immer von den jeweiligen Personen ab. Oftmals stecken dahinter aber Personen, die sich in diesem »Zwischending« wohler fühlen, weil ihre Ängste nicht so hochkommen. Für Rebels sind beides gute Optionen, um eben Nähe zu empfinden und trotzdem ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Doch wenn ihr Gegenüber langfristig eine Beziehung möchte, kann dies zu Konflikten führen. Denn meist empfindet das Gegenüber das fehlende Commitment als Zurückweisung. Gerade Leader und Artists leiden darunter und verfallen dann oft in Selbstkritik und Selbstzweifel. Healer würden in so einem Fall die Sitationship beenden.

♥ Würden Sie einem Paar zu einer offenen Beziehung raten oder einem Single zu einer Freundschaft plus oder Situationship? In welchem Fall? Das hängt immer sehr an der jeweiligen Situation und sollte vor allem mit den betroffenen Personen ausgehandelt werden. Eine pauschale Antwort kann ich hier leider nicht geben. Direkt in eine Freundschaft plus oder Situationship zu starten, ist aus meiner Erfahrung heraus für die meisten eher ein Kompromiss. Dazu würde ich pauschal nicht raten.

♥ Ist die Vorstellung veraltet, dass nur die einzig wahre Liebe uns glücklich macht?
Liebe, als gelebte Verbindung, macht uns tatsächlich glücklicher und gesünder. Unser Körper kann mit Infektionen und Krankheiten leichter umgehen, wir bekommen mehr Energie und fühlen uns verbundener. Liebe zu geben und zu bekommen, kann uns tatsächlich glücklicher machen. Vorausgesetzt, wir sind in einer Verbindung, in der es Raum für unsere Bedürfnisse gibt. Einfach nur in einer Beziehung zu sein um des Status Willen, macht uns eher unglücklich. Wir fühlen uns einsamer als alleine. Und Statistiken zeigen, dass gerade verheiratete Frauen mit Kindern unglücklicher sind als kinderlose Singles. Dies würde ich allerdings auf die Beziehungsqualität zurückführen.

♥ Verzerren Liebesromanzen in Film, Fernsehen und Literatur unsere Sichtweise auf die Liebe? Falls ja, inwiefern?
Meistens zeigen Liebesromanzen das Kennenlernen zwischen Rebel und Leader. Wir lernen also die oft aufregende Datingphase mit einer langfristigen Beziehung abzugleichen. Da Beziehungspflege in den wenigsten Filmen eine Rolle spielt, zweifeln wir an unseren Beziehungen anstatt sie zu einem wirklich magischen und schönen Ort werden zu lassen. Außerdem verändern sich Beziehungsdynamiken oft nicht dadurch, dass man nun »offiziell in einer Beziehung« ist. Das Spiel aus Nähe und Distanz ist aber für die allermeisten kräftezehrend.

Wie steht es mit queeren Bindungen? Gibt es hier einen Unterschied zu heterosexuellen Beziehungsformen?
Queere Beziehungen haben weniger Automatismen, wenn es um Geschlechterrollen in Beziehungen geht. Schließlich hinterfragen sie diese auch in anderen Domänen ihres Lebens. Diese Offenheit und Flexibilität macht Platz für die Bedürfnisse der jeweiligen Personen und ermöglicht einen konstruktiven Austausch. Doch natürlich ist auch diese Aussage mit Vorsicht zu genießen. Menschen, egal welchen Geschlechts, hinterfragen mehr und mehr alte Prägungen und sind bereit, alte Verletzungen zu heilen.

Offene Beziehung und Kinder, wie geht das?
Über viel Kommunikation und ein emphatisches Miteinander. Es gibt, wie auch in anderen Beziehungen, kein Erfolgsrezept, das für alle passt. Aber Paare, die diese Kombination meistern, haben oft einen sehr offenen Dialog, achten stark auf die Bedürfnisse aller und erlauben sich, Dinge zu verändern und anzupassen.

Wie wird sich die Vorstellung von Liebe, Sexualität und Familie in Zukunft entwickeln?
Ich kann hier ja nur eine Prognose wagen: Aber wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann, dass wir mehr Beziehungen miteinander eingehen, die ein Kraftort für uns sind. Wir alle bringen Verletzungen in neue Beziehungen ein oder verletzen unseren Herzensmenschen, ohne es böse zu meinen. Im Idealfall hätten wir dann aber das nötige »Werkzeug«, um der anderen Person einen sicheren Rahmen zu geben und eine andere – heilsame – Erfahrung zu machen. Denn über neue Erfahrungen können wir alte Verletzungen heilen. Deswegen habe ich mein neues Buch gerade darüber geschrieben.

»Wieder herzgestellt – Wie emotionale Heilung mehr Vertrauen, Nähe und Lebendigkeit in deine Beziehung bringt« ist am 15. Mai 2024 erschienen. Dr. Sharon Brehms neues Buch über die Heilung von Verletzungen in der Liebe und das Auflösen von Triggern und Blockaden enhält Beispiele aus ihrem Praxisalltag und soll zum Nachdenken anregen.


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