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Da rein – da raus?

Kennst du diese Leute, die wenig Zeit mit dem Lernen verbringen und bessere Noten schreiben als du? Vielleicht denkst du, es hat mit ihrer Intelligenz zu tun. Doch vielleicht haben sie einfach eine bessere Lernstrategie. Ob Hirnforscher, 0,8er-Abiturientin oder Gedächtnisweltmeisterin – hier lernen wir von den Profis!

 

Ausgedruckt ist halb gelernt?

Was ein witziger Spruch ist, den sich Studis gerne erzählen, stimmt zum Teil aber wirklich. Denn, wenn du rechtzeitig alle Materialien beisammen und sortiert hast, lernst du nicht nur lieber, sondern du wirst zeitlich auch nicht so sehr aufgehalten. Eine gute Organisation ist daher die Basis. An den Hausaufgabenheften aus der Schule ist also etwas dran. Wenn du in einem Kalender oder in einer App deine Klausuren planst und To-Do-Listen erstellst, verschaffst du dir einen viel besseren Überblick. Lara Emily ist aufgrund ihrer Lerntipps auf Social Media bekannt geworden. Sie wurde von einer Durchschnittsschülerin zu einer 0,8er Schnitt-Abiturientin und studiert nun Jura. Ihr Tipp dazu: »Egal wie du dich organisierst, halte es einheitlich! Du musst wissen, wo du etwas findest und solltest nicht alles mal hier mal da einsortieren«, so die Studentin. »Gut finde ich, wenn ich meine Materialien immer dabeihaben kann, falls ich mal in der Bahn auf dem Weg zur Uni lernen möchte. Daher organisiere ich mich gerne digital.«

 

Die optimale Lernsituation

Ein frühes Beginnen der Lernphase für die Klausuren und das Bewahren von Ruhe werden ebenfalls von ihr empfohlen. Die fünffache Junior-Gedächtnisweltmeisterin Christiane Stenger rät, beim Lernen darauf zu achten, Pausen sinnvoll einzulegen und zwischendurch auch an kurze Pausen zum Trinken und zum Durchatmen zu denken. Schließlich braucht das Gehirn auch ein wenig Zeit, um das Gelernte zu verarbeiten. Regelmäßige Pausen empfiehlt auch Hirnforscher Henning Beck. Für ihn gilt die Faustregel: 5:1. Fünf Teile Arbeit, ein Teil Pause. Auf eine Stunde lernen sollte man also circa zehn Minuten Pause machen. Außerdem sind auch gute Pausen wichtig, in welchen man mit seinen Augen umherwandern kann. Während des Lernens fordert Beck dazu auf, alle Arten von Bildschirmen zu verbannen. Klingt zwar schwierig, wenn man am PC oder Tablet lernt, jedoch kann man ja zum Teil auf analoges und ausgedrucktes Lernmaterial zurückgreifen und zumindest sein Handy stummschalten und weglegen. Auch der Lernort ist wichtig: Beide Frauen schwören hier auf die Bibliothek, weil man dort Ablenkungen vermeiden kann und zum Beispiel nicht auf einmal anfängt, Fenster zu putzen, denn Zuhause fallen einem auf einmal tausend andere Sachen ein, die man zu tun hat, anstatt zu Lernen. Jedoch ist dies Typsache und sehr individuell. Insgesamt soll der Lernort laut Stenger ein Wohlfühlort sein, an dem man in Ruhe und konzentriert lernen kann. Die Kombination zwischen dem Lernen alleine und dem sich in Gruppen Abfragen und Schwierigkeiten klären findet sie auch sehr sinnvoll.

 

Bulimielernen und Blackouts erklärt

Die Gedächtnisweltmeisterin Christiane Stenger empfiehlt Klopftechniken oder beruhigende Körperübungen gegen Prüfungsangst. Bei Blackouts in Prüfungen soll es laut Stenger helfen, aktiv zu lernen und sich zu vergewissern, dass man keine Lernillusion geschaffen hat. Das heißt, der Lernstoff kommt einem nicht nur bekannt vor, weil man ihn so oft durchgelesen hat, sondern weil man sich aktiv und – auch gerne laut – abgefragt oder den Lernstoff durch genügend Übungen angewandt hat. Nach Beck passiert beim Blackout (engl. »choking under pressure«) Folgendes: »Das Gehirn schüttet Neuromodulatoren (Noradrenalin oder Adrenalin) aus. Diese verändern nicht, was wir wahrnehmen, sondern wie. Ganz ähnlich einem Fotofilter in einer Smartphone-App drehen sie den Kontrast hoch. So können wir unter Stress fokussierter denken. Wird der Stress zu stark, wird unser Blick jedoch zu eng, bis irgendwann der komplette Gedanke kollabiert. Wir verkrampfen. Bewährt hat sich dann das sogenannte ›Prognosetraining‹. Man simuliert vorher die stressige Situation. Man könnte eine Test-Prüfung unter enormem Zeitdruck schreiben. Oder eine Präsentation vor einer Kamera halten mit der Regel, niemals neu anzusetzen, wenn man sich verhaspelt. So lernt man, mit dem Stress umzugehen, bis er seinen Schrecken verliert. Nebenbei: Dass man angespannt in eine Prüfung geht, ist gut. Nur so können wir maximale Leistung bringen. Noch nie hat ein Sportler Top-Leistung gebracht, wenn er entspannt war. Das Ziel sollte deswegen niemals sein, relaxt in einer Prüfung zu sein, sondern die Nervosität in Fokussierung umzudeuten. Sobald Menschen das tun, schneiden sie in Prüfungen nachweisbar besser ab.« Das Bulimielernen erklärt Henning Beck folgendermaßen. »Das sogenannte ›Cramming‹, das ›Einhämmern‹ von Informationen vor einer Prüfung hat zwei Effekte: Man wird in einer Prüfung am nächsten Tag tatsächlich besser abschneiden. Die Informationen sind allerdings auch umso schneller nach der Prüfung wieder weg. Ein Langzeitgedächtnis baut sich so nicht auf. Das kann man gut finden, wenn man eine Prüfung bestehen will. Aber wenn man das gelernte Wissen später wirklich braucht, wird man dann einen hohen Preis für seine Vergesslichkeit zahlen.«

 

Geniale Tricks für ein besseres Einprägen

Christiane Stenger, die sich etwa 280 Ziffern in fünf Minuten merken kann, gibt auch einen Online-Kurs, indem wir lernen, unser Gedächtnis und unsere Merkfähigkeit mit einfachen Methoden zu trainieren. Als Beispiel führt sie die Geschichtentechnik an, in der sie Wörter und Zahlen auftrennt, um daraus Geschichten als Eselsbrücken zu erfinden. Denn eine bildliche Vorstellung und das Einbinden von Emotionen und Außergewöhnlichem sind sehr wichtig, um sich etwas zu merken. Im Grunde gebe es zwar unterschiedliche Lerntypen wie auditiv, motorisch und kommunikativ, doch das visuelle Lernen ist für unser Gehirn meistens am effektivsten. »Ich würde sagen, die Muttersprache unseres Gehirns sind Bilder«.
Als Beispiel nimmt sie das Wort »Dopamin«, das sie in »Do«, wie Donnerstag, »Pa« wie Papa und »Min« wie Minute auftrennt. Daraus bildet sie die Geschichte, dass der Papa jeden Donnerstag eine Minute Mittagsschlaf hält. Darauf freut er sich so sehr, dass er eine Dopaminausschüttung bekommt. Bei Zahlen sei das nicht anders, auch wenn es in ihrem Online-Kurs noch bessere Methoden gibt, die komplizierter zu erklären sind. Bei der französischen Revolution 1789 könnte die »1« ein Baum, die »7« die sieben Zwerge, die »8« die Achterbahn« und die »9« ein Luftballon sein. Na, welche Geschichte würdest du daraus bilden? Besonders wenn die eigene Kreativität und Fantasie angeregt wird, ist die Merkfähigkeit nochmals höher. Gleichzeitig sind die Geschichten auch kreativitätsfördernd. Möchtest du kreativer sein, kann Henning Beck dazu beruhigen: »Es gibt nicht einfach kreative und unkreative Menschen. Eher mutige und weniger mutige. Wer kreativ sein will, sollte so viel Output erzeugen wie möglich. Tatsächlich erzeugt dann Quantität irgendwann Qualität.« Beim Erlernen von Paragraphen empfiehlt Stenger, mal einen Blick in das »Mastersystem« zu werfen. Außerdem sei es hilfreich, das neu Erlernte mit etwas Bekanntem zu verknüpfen. Daher lohnt es sich, die Routentechnik auszuprobieren. Hierfür verknüpft man Lerninhalte mit einem Ort, den man gut kennt, sodass man ihn vor dem inneren Auge gut abgehen kann. Dies kann der Weg zur Uni sein oder etwas anderes, das einem im Alltag begegnet und eine logische Reihenfolge hat, sodass der Weg und somit auch der Lernstoff in der Klausur jederzeit abrufbar ist. In Stengers Online-Kurs geht es zudem um das Einprägen von Namen und Gesichtern und um andere Strategien für ein besseres Gedächtnis.

 

Für ein besseres Gedächtnis im Alltag

Klar, lange Nächte mit Energy Drinks und Durchpauken kennt jeder. Doch: »mit einem ausgeschlafenen Gehirn denkt und lernt es sich in jedem Fall besser«, rät Christiane Stenger. Also doch lieber rechtzeitig beginnen und für einen guten Schlafrhythmus sorgen, als die  Nacht durchzumachen. Jeder Mensch braucht normalerweise 6 bis 10 Stunden Schlaf, das ist sehr individuell. Außerdem hilft Omega 3, leichte aber trotzdem sättigende Ernährung und viel Wasser. Beck bestätigt: »Den größten Effekt auf unsere Denkleistung hat Wassermangel. Wer viel trinkt, denkt besser. Wer viele ungesättigte Fettsäuren isst (Fisch, Nüsse), liefert genügend Baumaterial für die Nervenzellen.« Nahrung spielt eine große Rolle. Dennoch meint Henning Beck: »Man kann sich nicht schlau essen. Aber man kann vermeiden, sich dumm zu essen«. Stenger empfiehlt, es beim Konsum von Kaffee in Maßen zu halten und generell zu süße Energy Drinks zu meiden. Außerdem sind Bewegung und frische Luft wichtig. Das sind die Basics. Für ein fittes Gehirn braucht es nach Stenger dennoch nicht viel. Meistens trainieren wir es nebenbei, indem wir ein neues Hobby wie eine Sprache oder eine Sportart erlernen. Tatsächlich ist für Henning Beck Joggen besser als Sudokus zu lösen oder andere Arten des Gehirnjoggings. Schließlich verbessert Sport den Stoffwechsel und damit die Leistung des Gehirns.

 

Das Growth-Mindset

Vielleicht denkst du jetzt, das klingt alles schön und gut, aber was ist mit Menschen, die unter Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten leiden, beispielsweise bei ADHS, Dyslexie oder Dyskalkulie? Hierfür empfiehlt Stenger, einmal bekannte Persönlichkeiten zu recherchieren, welche trotz dieser Hindernisse (oder gerade deswegen?) tolle Sachen erreicht haben. Dies motiviert und zeigt dir, dass auch du alles schaffen kannst. Außerdem betont sie, dass diese Leute oft noch mehr Fantasie haben und ihnen die Lerntechniken sogar einfacher fallen könnten. Hier heißt es, einfach auszuprobieren, welche Methoden am besten funktionieren und keine Angst vor Fehlern zu haben. Jeder hat nunmal Vorzüge und Teile an sich, an denen er noch arbeiten kann. Wichtig ist es, einen Schritt nach dem anderen zu gehen, sich auf seine Vorzüge zu fokussieren und Fehler als eine Möglichkeit zu sehen, daraus zu lernen und noch mehr zu wachsen. Dieses sogenannte Growth-Mindset von Carol Dweck legt sie allen Studierenden nahe. Die US-amerikanische Forscherin fand heraus, dass es schon bei Kindern ein Fixed Mindset und ein Growth Mindset gebe. Für Menschen mit einem Fixed Mindset stehen Persönlichkeit, Fähigkeiten und Intelligenz schon ziemlich fest und sind schwer zu ändern. Daher kommen sie durch die Angst vor Fehlern oft in eine Vermeidungsstrategie. Ein einfaches »Ich kann das nicht« begründet dann diese Vermeidung.

 

Ist Intelligenz trainierbar?    

»Die schlechte Nachricht zuerst: Intelligenz und die Fähigkeit, effizient zu denken, ist nahezu untrainierbar. Das obere Limit der Leistung ist festgelegt. Die gute Nachricht: Bestimmte Tricks können das Beste aus deinem Gehirn herausholen«, so Beck. Natürlich ist vieles genetisch, meint auch Stenger, doch das Gehirn forme sich je nach Fokus und Training ständig um. Nach dem Modell von Dave Perkins hat das Gehirn eine neuronale Intelligenz. Sie sagt etwas über die neuronale Geschwindigkeit aus, also wie schnell wir Informationen verarbeiten. Doch es gibt auch eine wissensbasierte Intelligenz. Diese besagt, je mehr Wissen wir bereits haben, desto leichter fällt es uns, in diesem Gebiet Wissen anzueignen. Lernen wir jeden Tag Gedichte auswendig, so werden wir irgendwann immer besser, so wie es eben auch beim körperlichen Training für eine Sportart der Fall ist. Diese Intelligenz können wir also trainieren. Außerdem gibt es noch die reflexive Intelligenz, die weniger mit schnellem Denken als mit einem Überlegen von Strategien zu tun hat.

 

Hausarbeit, Präsentation und Abwesenheit in den Vorlesungen – Lara Emilys Studientipps

Vielleicht ist ein gutes und trainiertes Gedächtnis hilfreich, doch für Hausarbeiten und Präsentationen gibt es auch weitere wichtige Faktoren. Schließlich besteht ein Studium ja meist nicht nur aus Prüfungen. Lara Emily gibt Tipps zu diesen Leistungsnachweisen. So sagt sie zu Referaten: »Verstehe das Thema grundlegend! Vermeide es, dir auf die Karteikarten Sätze aufzuschreiben, welche du nur abliest, aber gar nicht selbst verstehst. Wenn du weißt, worüber du redest, trittst du souverän auf und kannst eventuelle Fragen beantworten.« Wenn Lara Emily weiß, dass sie eine Vorlesung nicht besuchen kann, versucht sie einfach, vorzuarbeiten. Präventiv zu arbeiten, hilft ihr, nicht in Verzug zu geraten, was dann viel Stress im Nachhinein vermeidet. Für genügend Konzentration bei der Hausarbeit hat es ihr geholfen, ein Lernumfeld zu schaffen, in dem sie nicht prokrastiniert. Für sie ist die Bibliothek der perfekte Ort für Deep Work Sessions ohne Ablenkungen.

 

Dreischrittverfahren für die Klausurvorbereitung von Hirnforscher Henning Beck:

Stufe 1: Grundlage
Lerninhalte komplett durcharbeiten: schreiben, veranschaulichen, zusammenfassen, eine Übersicht erstellen

Stufe 2: Entwicklung
Die Übersicht nochmals durcharbeiten, Testfragen bearbeiten, Lücken erkennen und sie in den Notizen ergänzen. Braucht einen Drittel der Zeit wie für Stufe 1.

Stufe 3: »Tapering«/ Fein-Tuning
Noch einmal durchgehen. Wiederum ein Drittel der Zeit nehmen, die man für Stufe 2 gebraucht hat.

 

Verlernen wir durch KI unser Denken?

Dazu hat Henning Beck eine spannende Erklärung. »Jede neue Technologie hat in der Menschheitsgeschichte dazu geführt, dass wir weniger denken müssen. Wir lagern geistige Fähigkeiten aus, sodass bestimmte Tätigkeiten überflüssig werden. Früher musste man mit Logarithmentabellen rechnen oder in Stenographie schreiben können. Kompetenzen, die heute niemand mehr kennt, weil sie überflüssig sind. Früher war das große Problem, an Informationen zu kommen und diese zu behalten. Deswegen wurde Wert auf Auswendiglernen gelegt. Heute ist das größte Problem, die Übersicht zu behalten, deswegen wird es wichtiger, mit Quellen zu arbeiten, sie zu priorisieren und zu kategorisieren. Ich kenne noch nicht mal die Telefonnummer meiner Schwester. Aber ich weiß, in welchen Situationen ich sie anrufen kann. KI ist genau Teil dieses Trends und wird bestimmte Tätigkeiten überflüssig und dafür andere Denkfähigkeiten umso notwendiger machen. Brainstormings, das Erstellen von Grafiken und das Erstellen kleiner Programme werden durch KI massiv vereinfacht. Umgekehrt wird es wichtiger, zu verstehen, wofür man KI einsetzt, Probleme zu erkennen und Lösungen zu kommunizieren.«

 


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