Frau Dr. Tutschka, die Digitalisierung in der Anwaltsbranche nimmt zu. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Apps und Websites, die Rechtsberatung anbieten. Lohnt sich eine Kanzleigründung für junge zukunftsorientierte Jurist*innen denn überhaupt noch?
Das Berufsbild unterzieht sich gerade einem grundlegenden Wandel: automatisierbare Dienstleistungen werden automatisiert. Das bedeutet, es wird zukünftig keine Vielzahl an Standardfällen mit wenig Kundenkontakt auf den Schreibtischen geben. Zunehmen werden dagegen Spezialfälle, betreuungsintensive Einzelfälle und Krisen- und Konfliktmanagementmandate. Für zukünftige Juristen heißt das, dass entweder Technikaffinität gefragt ist, die Legal Tech bedient oder gar entwickeln kann oder sogenannte Cross Competencies, also Kompetenzen in Zusatzgebieten wie Medizin, Architektur, Veränderungsmanagement, Organisationsentwicklung, die in der Kombination mit Recht dann wiederum eine ganzheitlichere Begleitung ermöglichen. Dort setzt z. B. die Legal Coaching Ausbildung unserer CLP-Academy (Consulting for Legal Professionals) an.
Wie digital muss die Kanzlei der Zukunft sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Es gibt inzwischen eine gut sortierte Auswahl an ausgereiften, unterstützenden technischen Tools für den Kanzlei-alltag. Meine Empfehlung ist, sich hier vor dem Start und auch in regelmäßigen Abständen einen guten Markt-Überblick zu verschaffen, der inzwischen auch relativ einfach zu bekommen ist. So habe ich z. B. schon seit einigen Jahren für Junganwälte zusammen mit den Freien Fachinforma-
tionen aus meinem Buch »Strategische Kanzleientwicklung – Gründung, Management, Führung, Marketing« eine kostenfreie Auskopplung mit Checklisten für das Forum Junge Anwälte des DAV und Erstgründer aufgesetzt.
Hat die Corona-Pandemie die Standards und Anforderungen zur Kanzleigründung verändert?
Die Pandemie hat in gewisser Weise einerseits unsere Art zu arbeiten nachhaltig beeinflusst. Das hat gerade für die Rechtsbranche flexiblere Arbeitszeiten und zum ersten Mal wirkliches Homeoffice beschert, verbunden mit einem massiven Digitalisierungsschub. Die deutsche Juristik hatte sich ja lange geweigert, die Zeichen der Zeit anzuerkennen und sich gern an Tradition und Standesdenken festgeklammert. Die eingetretene Wirtschaftskrise hat vielen Kanzleien andererseits gutes Geschäft gebracht. So gesehen, hat Corona tatsächlich dazu beigetragen, dass Kanzleien heute post Corona sehr viel schlanker, moderner, digitaler und auch authentischer schon bei der Gründung sind – was der Rechtsdienstleistung gut zu Gesicht steht, wie ich finde.
In welcher Weise wird sich die Arbeit in der Kanzlei in Zukunft besonders stark verändern?
Die strategische Arbeit wird sich in Zukunft intensiv mit drei großen Themenkomplexen beschäftigen:
1. Positionierung und Markenaufbau unter Nutzung von Social Media, Podcasts etc.
2. Digitalisierung von Strukturen und Prozessen
3. Development von Personal und Talent
Das bedeutet für viele, sich zum ersten Mal tatsächlich regelmäßig signifikante Zeitfenster dafür zu reservieren oder auch Experten aus diesen Bereichen in die Kanzlei zu holen. Wer diese Themen weiter irgendwie neben herlaufen lässt, quasi auf Autopilot, wird langfristig nicht mehr wettbewerbsfähig sein.
Wieviel Berufserfahrung braucht man für die Gründung?
Grundsätzlich braucht es formal heute immer noch nur die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Und tatsächlich machen sich auch viele Kollegen unmittelbar mit den Examina in der Tasche selbstständig. Meine Erfahrung aus der Praxis ist jedoch, dass diese dann oft schon sehr fokussiert während Studium und Referendariat Berufspraxis in Kanzleien gesammelt haben. Die Statistik des Soldan Instituts und auch des Deutschen Anwaltvereins zeigt, dass sich Juristen in der Regel nach drei bis acht Jahren, also nach ca. fünf Jahren Berufserfahrung, selbstständig machen. Das muss gar nicht unbedingt aus einem Angestelltenverhältnis aus einer Kanzlei heraus passieren. Dazu zählen auch Kollegen, die zunächst in der Rechtsabteilung eines Unternehmens gearbeitet haben, sich erst in der Uni verdingt haben oder sich auf der Partnerlaufbahn einer Großkanzlei befanden und nun für sich feststellen, dass das nicht ihr Weg ist. Interessant an dieser Statistik ist, dass diese Zeitspannen bei den wenigsten von Anfang als »Lehrjahre« eingeplant gewesen waren, sondern sich das eher so »ergeben« hat bzw. sich eine Chance aufgetan hat, die man ergriffen hat – wie z. B. der Kollege, der einen Partner suchte.
Welche Fähigkeiten, Motivationen und Softskills sollte man für die Gründung einer eigenen Kanzlei mitbringen?
Ich würde jedem, der sich mit dem Gedanken trägt, eine Kanzlei zu gründen, wünschen, dass er:
1. Unternehmergeist mit einer gewissen Risikobereitschaft mitbringt und Freude daran hat, Menschen zu führen und zu entwickeln
2. einen guten Sparringpartner hat, der mit ihm objektiv und unvoreingenommen Geschäftsideen bis ins Detail durchspricht
3. sich selbst gut kennt – sich selbst gegenüber sehr aufrichtig ist, welche Qualitäten er mitbringt und welche nicht und eine große Klarheit darüber besitzt, was persönlich im Leben das Wichtigste ist.
Was sind gute Strategien, um die eigene Kanzlei zu vermarkten und Mandant*innen zu gewinnen?
Gerade das Thema strategische Positionierung für die Kanzlei und ihr Dienstleistungsportfolio verbunden mit dem gekonnt darauf abgestimmten Personal Branding für die einzelnen Anwälte, die einen gewissen Expertenstatus aufbauen sollten, entwickelt sich gerade super spannend. Neue Spielfelder sind zahlreich in der schönen neuen Online-Welt zu finden. In der Pandemie hat sich die Nutzung um ein Drittel erhöht. Jeder Anwalt, der sich nicht strategisch darauf einstellt, dort seine Mandanten zu treffen, wird bald keine Mandanten mehr treffen.
Ist zu erwarten, dass die Zahl der spezialisierten und Nischen-Kanzleien in Zukunft wachsen wird?
Definitiv: Die Digitalisierung macht es möglich, dass kleine flexible und oft auch agile Arbeitseinheiten den großen »Tankern« gerade die fetten Fische vor der Nase wegschnappen und dabei oft einen besseren Job machen.
Die junge Generation gilt als sehr politisch und moralisch ausgerichtet. Welche Auswirkungen hat dies auf die zukünftige Kanzleienlandschaft?
Wir merken jetzt schon, dass die Themen Nachhaltigkeit, Compliance und Werteverantwortung eine immer größere Rolle in den Kanzleien spielen und spielen müssen. Diese Anforderung wird von den Klienten an die Kanzleien herangetragen – vom Großunternehmen bis zum Privatmandanten. Dies fordern aber auch die Nachwuchstalente in den Kanzleien ein und zwar in allen Berufsgruppen. Dasselbe gilt für Diversity. Wir hatten noch nie so viele Juristen in den Karrierecoachings, deren Themen sich darum drehten, als Black and People of Color in der Unternehmensrechtsabteilung in Deutschland Karriere zu machen; als erste Frau UND bekennende homosexuelle Partnerin in einer großen Kanzlei Equity Partner zu werden oder sich als Inhaber einer Kanzlei für Vermögensnachfolge in seinem Außenauftritt statt mit typischen und althergebrachten Statussymbolen wie Manschettenknöpfen, teurer Büroausstattung, Mont Blanc Füller mit modernen Statussymbol als engagierter Familien-
vater zu schmücken, nämlich mit seinen Kindern im Kindergartenalter zu präsentieren.
Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit, CSR und Diversity in Ihrer Kanzleiberatung?
Wir bei CLP begleiten mit der Entwicklung und Umsetzung dieser Themen nicht nur unsere Kanzleikunden sondern haben uns selbst in die Verantwortung genommen: unser Jahresziel in Nachhaltigkeit, welches mit dem sogenannten Carbon Footprint Audit gemessen wird, hat uns von der Dienstreise über das papierlose Büro bis hin zu den Werbemitteln, den Plastikflaschen und dem Essen im Büro umdenken lassen. Mittlerweile halten wir unsere eigenen Workshops nur noch in – als Biohotel zertifizierten – Seminarhotels ab und haben mit unserer CLP-Academy auch einen Großteil des Seminarangebotes digitalisiert. Wir unterstützen auch ganz gezielt Bewegungen und Gruppen wie PANDA Law und BreakingThrough für junge Juristinnen, die LGBTQ+, BlackLivesMatter, #MeToo oder Lawyer4Future und zwar aktiv sowie indem wir sie gezielt mit zu unseren Kanzleikunden nehmen. Und nicht von ungefähr haben wir uns in unserem Salzburger Standort zur Kooperation mit der GWS (Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung) entschlossen, wodurch ausschließlich Menschen mit Behinderung im Büroservice zum Einsatz kommen. Die Erfahrungswerte, die wir so sammeln können, bringen wir wiederum in unsere Kanzleiberatungen ein. Wir nehmen unseren Slogan als Statement »CLP – weil wir gute Juristen lieben« und möchten bei den Juristen einen sehr viel höheren Anspruch an Verantwortungsübernahme erreichen, nicht nur in den eigenen Büroprozessen sondern auch bei der Auswahl und der Bearbeitung der Mandate. Zukünftige Juristen sollten nicht mehr nur gute Handwerker und Sachbearbeiter sein, sondern innovative Begleiter und verantwortungsvolle Gestalter.