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True Crime Hype

Woher kommt er und was ist die Rolle des Strafverteidigers? Ein Blick in die Welt des Strafrechts

Die Faszination über wahre Verbrechen ist keineswegs ein Phänomen der modernen Gesellschaft. Bereits vor hunderten von Jahren kamen Menschen in Scharen zu öffentlichen Hinrichtungen und sahen vergnügt dabei zu, wie Menschen ihr Leben ließen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es zudem einen regelrechten Hype um den bis heute wohl bekanntesten Serienmörder und Phantom »Jack the Ripper«. Seit den 60igern zieht die ZDF-Show »Aktenzeichen XY«, die über ungelöste, wahre Straftaten berichtet, tausende Menschen vor den Fernseher. Der enorme Hype, der aktuell herrscht, kann wohl auf die amerikanische Podcast-Serie »Serial« zurückgeführt werden, in der 2014 die Journalistin Sarah Koenigs einen Mordprozess aufarbeitete. Wir sehen also, die Anziehungskraft wahrer Verbrechen begleitet uns schon sehr lange. Große Emotionen wie Angst, Hass oder Liebe spielen dabei eine zentrale Rolle. »Die Zuschauer gruseln sich auf eine angenehme Weise, da sie sich in Sicherheit befinden«, erklärt die Kriminalpsychologin Lydia Benecke in einem Spiegel-Interview über den Konsum der True Crime Formate. Doch was passiert, wenn Täter gefasst werden? Wie können wir uns die Gerichtsverhandlungen im Strafrecht vorstellen und worin liegen die Aufgaben eines Strafverteidigers?

Verbrecherische Leidenschaft

Laut Bundeskriminalamt wurden 2021 in der Polizeilichen Kriminalstatistik 5.047.860 Straftaten festgestellt, dabei lag die Aufklärungsquote bei 58,7 Prozent. Seit 2017 sind die durch die Polizei registrierten Straftaten zwar rückläufig, allerdings gab es in der Cyberkriminalität und in der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen einen deutlichen Zuwachs. Dem möchte Bundesinnenministerin Nancy Faeser gleichermaßen entgegensetzen: »Die Auswertung von Daten werden wir deutlich verbessern, auch durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Mein Ziel ist klar: Kein Täter darf sich sicher fühlen.« Bei der Zahl der Straftaten fällt auf, dass wir diese in den meisten Fällen gar nicht mitbekommen. Oft werden nur die äußerst grausamen oder skurrilen Straftaten medial aufbereitet. Eine Art Abgrenzung zu Taten, die uns so unvorstellbar und weit weg vorkommen. Aber sind sie das überhaupt? Betrachten wir Verbrecher aus rein emotionaler Sicht, verbinden wir wohl meist Hass, Unverständnis und Ekel mit diesen. Das führt aber ebenfalls dazu, dass wir diese Straftaten nur besonders schlechten Menschen zuschreiben und somit unsere Augen ein Stück weit vor der Realität verschließen, denn diese zeigt: Auch der nette Mann von Nebenan kann ein grausamer Serienmörder sein. Lydia Benecke beschreibt in einem Interview mit der Leipziger Zeitung das Problem wie folgt: »Wenn die Vorstellung von Menschen, die schwere Straftaten begehen, durch Emotionen und hiermit einhergehende Bewertungen geprägt wird, ist eine differenzierte Sichtweise auf die Komplexität von Verbrechen und den diese begehenden Menschen unmöglich. Die realistische und differenzierte Betrachtung ist allerdings notwendig, um beispielsweise unterschiedliche Präventionsmethoden auf wissenschaftlicher Basis zu entwickeln.« Und da kommen Juristen, insbesondere Strafverteidiger, ins Spiel.

nicht ohne meinen anwalt

Ziel eines Strafverfahrens ist, einfach gesagt, die Wiederherstellung des Rechtsfriedens und der Erhalt des Gemeinwohls. Bis zum Beginn der Hauptverhandlung eines Gerichtsprozesses muss vom Kläger ein vorgeschriebenes Vorverfahren erhoben werden, dieses dient dem Ermittlungszweck. Anschließend muss durch das sogenannte Zwischenverfahren der Beschuldigte durch die Anklageschrift über die Klage aufgeklärt werden. Laut Paragraph 137 Strafprozessordnung (StPO) hat jeder Angeklagte das Recht auf bis zu drei Verteidiger. Die Aufgabe eines Strafverteidigers ist der rechtliche Beistand eines Beschuldigten. Ausführen können diesen Beruf Rechtsanwälte und Rechtslehrer, welche an deutschen Hochschulen tätig sind. Andere Personen benötigen eine extra Genehmigung des Gerichts, um als Verteidiger tätig sein zu können. Ein Strafverteidiger ist dabei nicht an die Weisungen des Beschuldigten gebunden, hat aber allein den Interessen seines Mandanten zu »dienen«. Das führt laut StPO Paragraph 146 ebenfalls dazu, dass mehrere Angeklagte eines Verfahrens nicht vom gleichen Verteidiger vertreten werden können, da dies zu Interessenskollisionen führen würde. Den typischen Arbeitstag als Strafverteidiger gibt es laut Sandy Vollrath, Fachanwältin für Strafrecht bei Fischer Rechtsanwälte in Nürnberg, nicht. Einen Großteil der Arbeit finde zwar mit dem Lesen von Ermittlungsakten oder Besprechungen im Büro statt, oft müsse sie aber auch für ein persönliches Gespräch mit Mandanten in die Justizvollzugsanstalt. Bereits zu Beginn von Frau Vollraths Tätigkeit als Strafverteidigerin erhielt sie nach eigenen Angaben einen recht skurrilen Fall: Damals als Pflichtverteidigerin vertrat die junge Rechtsanwältin einen inhaftierten Klienten, der wegen des Verdachts des Schwarzfahrens angeklagt wurde. Für das Gericht und die Staatsanwaltschaft sei der Fall und die somit einhergehende Verurteilung, laut Frau Vollrath, völlig klar gewesen. »Ich erkannte aber, dass der Mandant immer etwas davon erzählte, Stimmen zu hören«, berichtet die Fachanwältin weiter. Daraufhin beauftragte Frau Vollrath ein Sachverständigengutachten, welches bewies, dass der Beschuldigte an einer Schizophrenie litt und somit schuldunfähig war. Schließlich konnte der Mandant nicht nur freigesprochen werden, sondern erhielt zusätzlich noch eine Haftentschädigung. Wie Frau Vollrath bereits erwähnte, haben Angeklagte bei jedem Prozess die Möglichkeit, sich für Pflicht- oder Wahlverteidiger zu entscheiden – je nach Umfang des Verfahrens auch für beide. Ein Pflichtverteidiger wird nur dann bestellt, wenn ein sogenannter Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Wann dies der Fall ist, ergibt sich aus Paragraph 140 StPO, der abschließend regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Paragraph 141 StPO regelt darüber hinaus denZeitpunkt der Bestellung eines Pflichtverteidigers. Der Unterschied zwischen Wahl- und Pflichtverteidiger führt in facto zu abweichenden Gehaltsvergütungen, dazu später mehr. Doch auch ein Strafverteidiger kann aus einem Prozess ausgeschlossen werden. Gründe dafür sind zum Beispiel: Manipulation von Beweisen, Selbstbeteiligung an der Tat oder der Missbrauch seiner Stellung. Aber warum möchten manche Rechtsanwälte überhaupt mit potenziellen Mördern, Dieben oder Vergewaltigern arbeiten? Laut Professor Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen, ist die Freiheitsstrafe die schärfste Sanktion, die der Staat Bürgerinnen und Bürgern auferlegen kann. Sich Gedanken darüber zu machen, wo dafür die Voraussetzungen, aber auch Grenzen liegen, sei das Faszinierende am Strafrecht. Die Strafjustiz ist Teil des öffentlichen Rechts und gliedert sich in materielles und formelles Strafrecht. Ersteres behandelt die Frage, ob überhaupt eine Straftat vorliegt und welche Strafe dafür zu erwarten wäre. Das formelle Strafrecht regelt, wie das materielle durchgesetzt werden kann: Welches Verfahren also auf welchem Weg die Strafe durchsetzt. Schwerpunkte im Kriminalrecht können sich Rechtsanwälte zum Beispiel im Jugendstrafrecht, Korruptionsstrafrecht oder Wirtschaftsstrafrecht legen – nur um einige Punkte zu nennen. Um das Thema mit den Worten von Podcaster und Autor Dr. Alexander Stevens, der außerdem als Strafverteidiger bei Stevens & Partner mbB tätig ist zu beenden: »Das Strafrecht hat letztlich immer die menschlichen Schwächen zum Gegenstand und zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. Nicht selten gewährt es Blicke in die Abgründe menschlichen Handelns und Denkens, beschäftigt sich mit Ursachen, Motiven und Auslösern strafbewährten Verhaltens und birgt für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit Einblicke zu bekommen, die dem Großteil der Bevölkerung verwehrt bleiben – was in manchen Fällen vielleicht auch besser so ist.«

Im Zweifel für den Angeklagten

Schön und gut. Das Interesse für Verbrechen und mögliche Täter ist da, eine grobe Vorstellung, was Strafverteidiger erwartet ist auch gegeben – aber was wird eigentlich von angehenden Kriminalrechtlern erwartet? Neben den allgemeinen juristischen Kompetenzen, die jeder Absolvent eines Studiums der Rechtswissenschaft aufweisen muss, ist laut Professor Kinzig auch das Einfühlungsvermögen in Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebensumständen wichtig. Dr. Alexander Stevens fügt dem hinzu, dass es eine Typfrage sei, ob man Tag ein Tag aus mit dem Schlechten im Menschen konfrontiert sein, sich subordinativ mit den Strafverfolgungsbehörden anlegen und sich im Familien- und Freundeskreis gebetsmühlenartig dafür rechtfertigen wolle, warum man »solche« Menschen nur verteidige. Stevens rät, sich davon allerdings nicht abschrecken zu lassen, denn die Faszination würde zumindest im Strafrecht nie nachlassen. Bis zur schlussendlichen Ausführung eines Kriminaljuristen bedarf es einiger Weiterbildungen. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich die Fachkunde des Strafrechtlers näherzubringen. In Deutschland gibt es zum Beispiel Masterstudiengänge wie Rechtspsychologie oder Kriminologie. Letzteres lehrt unter anderem Grundlagen der Strafrechtssoziologie, Strafjustizvollzug oder Kriminalitätsfurcht. In drei Semestern kann somit bereits fachspezifisches Wissen erlangt werden. Laut Sandy Vollrath kann auch durch eine Fortbildung der Fachanwaltstitel für Strafrecht erworben werden. »Voraussetzung für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung ist im Strafrecht neben einem theoretischen Lehrgang mit schriftlichen Prüfungen unter anderem auch der Nachweis von 60 Fällen mit mindestens 40 Hauptverhandlungstagen vor dem Schöffengericht oder einem übergeordneten Gericht«, ergänzt Frau Vollrath. Absolvierende, die sich mehr für die Gutachter-Seite interessieren können ihren Master in der Rechtspsychologie ablegen. Darin werden Kompetenzen in den Bereichen der rechtspsychologischen Diagnostik, Begutachtung und Evaluation nähergebracht. Aussagepsychologie, Schuldfähigkeit oder Kriminalprognose gehören dabei zu den wichtigsten Begutachtungsbereichen. Kommen wir zurück auf die Gehaltsvergütungen von Pflicht- und Wahlverteidigern: Auch hier ist nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetzt (RVG), welches seit Juli 2004 aktiv ist, abzurechnen. Wahlverteidiger haben hingegen im Rahmen einer Vergütungsvereinbarung die Möglichkeit, Zeithonorar oder Pauschalhonorar zu verlangen. Der Arbeitsmarkt sei, laut Fau Vollrath, für begeisterte junge Anwälte und Anwältinnen recht gut. Weiter komme es gerade im Strafrecht viel auf Erfahrung an und die lerne man am besten in einer Kanzlei, die Strafrecht nicht nur so »nebenbei« macht.


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