Stichwort autonomes Fahren: Welches Bild fährt da vor deinem inneren Auge auf und ab? Bestimmt kein Traktor, oder? Eigentlich erstaunlich, denn Technologien, die gerade die Runde machen, sind auf dem Acker schon seit Jahren weiter fortgeschritten. 15 Jahre ist es etwa her, dass die ersten automatischen Lenksysteme für Landmaschinen auf den Markt kamen. Seitdem hat sich natürlich nochmal einiges getan und die Innovationen beschränken sich bei Weitem nicht nur auf die Lenktechnik.
Ralf Kalmar, Projektleiter des Fraunhofer-Leitprojekts ›Cognitive Agriculture‹ zeigt sich begeistert ob des breitgefächerten digitalen Fortschritts in der Landwirtschaft: »Mähdrescher sind beispielsweise schon so automatisiert, dass sie zentimetergenau Spuren auf dem Acker fahren können und sammeln gleichzeitig Daten durch Sensoren – zum Beispiel über die Qualität der Ernte. Aber auch in der Innenwirtschaft lässt sich der Fortschritt sehen, wenn man sich etwa die Milchviehhaltung anschaut. Dort haben Kühe Sensoren an den Beinen, um die Bewegung im Stall zu messen. Darüber lässt sich erkennen, ob eine Kuh krank wird und auch Fruchtbarkeitsindikatoren lassen sich erfassen und sind dadurch steuerbar.«
Hand in Hand mit der Nachhaltigkeit
Was sich im ersten Moment vielleicht wie spielerische nice-to-haves anhört, hat durchaus einen drängenden Hintergrund: Durch das Bevölkerungswachstum muss sich die weltweite Nahrungsmittelproduktion bis 2050 im Vergleich zum Jahr 2000 verdoppelt haben – und das bei gleichbleibender Landfläche. Bedeutet: 90 Prozent des Zuwachses soll von höheren Erträgen stammen.
Dabei hilft die Digitalisierung, besser und genauer zu arbeiten und die vorhandene Fläche zielgerichtet zu bewirtschaften. Das Thema Profitabilität gehe in der Agrar-Industrie immer Hand in Hand mit der Nachhaltigkeit, betont Stefan Stahlmecke, der bei John Deere als Regional Director und Experte für Digitalisierung in der Landwirtschaft tätig ist. »Wir schaffen es, die Erträge unserer Kunden zu steigern, bei gleichzeitig niedrigerem Einsatz von Düngern oder Pflanzenschutz – eine Win-Win Situation.« Wie das funktioniert? Zum Beispiel, wenn Nutzpflanzen mittels Kameras und Künstlicher Intelligenz von Unkräutern unterschieden und dann punktgenau gedüngt werden. Oder wenn kleine Drohnen und Feldroboter Äcker spotgenau bewirtschaften oder Schlupfwespen abwerfen, die Schädlinge fressen.
Agrartechnik für Anfänger
Hier wird bereits klar, dass Landmaschinenbauer heute ganz andere Fähigkeiten mitbringen müssen als noch vor einigen Jahren. »Früher waren es klassische Maschinenbauer, die alles mechanisch gelöst haben«, erklärt Kalmar, »jetzt müssen die Firmen ganz neue Kompetenzen aus der Elektrotechnik und Informatik aufbauen, weil die genauen Applikationen nicht mit Hydraulik hinzubekommen sind, sondern es Elektromotoren braucht, die gezielt Pflanzen hacken oder eine Spritze in sehr kurzen Abständen auf und zu machen.« Bei Landmaschinenherstellern wie John Deere seien deswegen Elektrotechniker*innen oder System-Ingenieur*innen gesucht, die sich diesen Herausforderungen stellen. Erfahrung im Agrarwesen ist übrigens nicht notwendig, dafür aber die Bereitschaft, sich in die Denk- und Arbeitsweise von Landwirten und Landwirtinnen einzufühlen. Katherine Meyer zu Borgsen ist noch ganz neu in der Agrartechnik, arbeitet seit März bei CLAAS als UX Designerin und kann das nur bestätigen: Auch sie hatte keinerlei landwirtschaftliche Vorerfahrung und erarbeitet sich gerade das nötige Wissen. »Es gibt ganz viele Kolleg*innen, die das erklären, ich kann mir die Maschinen anschauen und auch mal mitfahren. Da sollte man gar keine Hemmungen haben. Am Ende ist man richtiger Fan.« Jörg Dörr vom Lehrstuhl Digital Farming an der TU Kaiserslautern erklärt, dass Smart Farming mit vielen Disziplinen zusammenhängt: unter anderem Agrarwissenschaften, Maschinenbau, Elektroingenieurwesen, Informatik und BWL. Man könne nicht überall seine Stärken haben, aber in allen Bereichen noch viel lernen. Vor allem brauche es Demut vor dieser Branche, so Dörr. Das nötige Know-how in Sachen Landwirtschaft gibt’s dann durch Weiterbildungen beim Arbeitgeber.
Userfreundlichkeit an erster Stelle
Herausfordernd für die Branche wird in den nächsten Jahren vor allem die Interoperabilität der verschiedenen Systeme sein. So kann es vorkommen, dass ein Landwirt eine Applikationskarte für die Düngung erst auf einem USB-Stick speichern und dann händisch am Terminal der zuständigen Maschine anschließen muss – nicht gerade userfreundlich. Diese Problematik beschäftigt auch Meyer zu Borgsen in ihrer alltäglichen Arbeit. Ihr Ziel sei es, die Plattform von CLAAS so weiterzuentwickeln, dass Landwirt*innen ihren ganzen Fuhrpark einbinden können – unabhängig vom Hersteller. Dort sollen in Zukunft die gesammelten Daten nicht nur angezeigt, sondern gleich automatisch ausgewertet werden. Ein anderer Aspekt ist die Nutzungsakzeptanz bei den Landwirten. Vertrauen und Akzeptanz in die Systeme ist unter den Top Drei der Entscheidungsargumente für oder gegen smarte Landtechnik. »Wichtig ist, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck ist«, betont Dörr. Aber es gibt viele Bereiche, die ohne Technisierung bald nicht mehr konkurrenzfähig sein werden oder wo ganz einfach Arbeitskräfte fehlen. In dem Fall helfen Systeme wie Melkroboter oder autonome Landmaschinen, die menschliche Arbeit auf ein Minimum zu beschränken. Und man dürfe eines bei all der Technik nicht vergessen, so der Lehrbeauftragte: »Es geht um die Ernährung, das ist eines der absoluten Grundbedürfnisse.«
Trendy, aber teuer
Schlagworte, die man im Zusammenhang mit Digitaler Landwirtschaft immer wieder hört, sind etwa Precision Farming, beziehungsweise Spot Farming. Das Prinzip ist recht einfach: Kleine Drohnen oder Feldroboter bewirtschaften einzelne Spots und kümmern sich beinahe exklusiv um eine Pflanze. Ob, beziehungsweise wann diese Individualbetreuung breitflächig zum Einsatz kommt, steht noch in den Sternen. Schließlich müssen sich Kosten und Nutzen erst rechnen und auch das Bereitschaftslevel zum kompletten Umbruch ist höher, als bei der technischen Aufrüstung der gewohnten Maschinen. Goldman und Sachs sehen im Bereich Smart Farming trotzdem ein Marktpotenzial von 240 Milliarden Dollar bei 70 Prozent höheren Erträgen bis 2050. In diesem Bereich stehen Robotik und Automatisierung immer noch relativ am Anfang, sodass sich hier in den nächsten Jahren noch einiges tun wird. Vor allem die M2M Kommunikation, zum Beispiel zwischen Mähdrescher und Lader ist ein Thema, genauso wie die Sensor- und Messtechnik. Klug eingesetzt, lassen sich so der Nährstoffgehalt der Ernte oder die Knollendichte von Kartoffeln errechnen. Ebenfalls herausfordernd: der fehlende Breitbandausbau auf dem Land. Um zuverlässig auf die Cloud zuzugreifen und die internen Netze aufrecht zu erhalten, braucht es hier mindestens 5G, wenn nicht sogar 6G. Unternehmen wie John Deere versuchen sich daneben an alternativen Technologien, wie die Anbindung über Satelliten – doch auch das ist momentan noch zu teuer.
Einen Beitrag leisten
Um all diese Entwicklungen voranzubringen, braucht es vor allem interessierte junge Leute, die gerne Neues entdecken – wie zum Beispiel Katherine Meyer zu Borgsen. Sie schätzt an ihrer Arbeit den Bezug zur Praxis und die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Abteilungen. Interdisziplinärer Austausch ist hier wie so oft das Stichwort. »Jede*r hat schon einmal einen Traktor gesehen, aber es ist so spannend, was da alles drinsteckt. Es ist eben nicht nur ein Lenkrad und ein Sitz, sondern ganz viel Technik. Außerdem ist es einfach so zukunftsweisend, weil es immer mehr Menschen auf der Welt gibt, die ernährt werden müssen. Das Ziel ist, das möglichst effizient zu machen und möglichst viel Ertrag zu haben, aber gleichzeitig auch möglichst ökologisch, um die Natur zu schützen. Ich finde, da kann man einen kleinen Beitrag leisten.« Wenn sich das nicht nach einer erfüllenden Arbeit anhört...