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Mal was anderes – Außergewöhnliche Ingenieur-Karrieren

Manchmal braucht es ein bisschen Mut fürs Unkonventionelle. Unser Special für Nischengebiete des Ingenieurwesens.

No. 37435. Unter dieser Nummer reichte am 29. Januar 1886 ein gewisser Carl Benz das Patent für das »Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb« ein – aka das offiziell erste Automobil der Geschichte. Wirft man heute einen Blick auf das historische Antragsdokument, sehen die Zeichnungen des schwäbischen Ingenieurs erstmal ziemlich unspektakulär aus – aufsehenerregend waren die ersten Fahrversuche trotzdem und genauso groß war auch die Skepsis vor der abenteuerlichen Technik. Es brauchte die 100-Kilometer-Fahrt der mutigen Berta Benz, die mit dem motorisierten Dreirad von Mannheim nach Pforzheim und zurück fuhr. Ab da entwickelte sich langsam eine Akzeptanz für die berüchtigten »Wagen ohne Pferde«. Nach und nach stellten sich Firmen auf den Trend ein. So sattelte beispielsweise Opel 1898 von Nähmaschinen über Fahrräder auf Autos um und wurde schnell zum größten Hersteller Deutschlands. 
Es muss eine spannende Pionierzeit gewesen sein und sicherlich wurde der ein oder andere Ingenieur belächelt, in das Nischengebiet des Auto-mobilbaus einzusteigen. Möglicherweise mussten sich die jungen Talente sogar vor Familie und Freunden erklären, warum sie sich in einer Branche jenseits des »Mainstreams« verwirklichen wollten. 100 Jahre später ist die Autoindustrie Deutschlands größte Wirtschaftskraft und machte 2019 einen Umsatz von 436 Milliarden Euro. Kaum zu glauben, was aus ein wenig Mut zum Unkonventionellen entstehen kann. Doch auch heute gibt es sie noch – die Nischengebiete für 
Ingenieure; Branchen, die den wenigsten beim ersten Nachdenken einfallen und trotzdem enormes Potential zur Entfaltung haben. Jetzt soll es auf eine Reise gehen in Gebiete, die vielleicht ein bisschen exotisch wirken und unkonventionell daherkommen. Kleiner Teaser: Die Ingenieure der folgenden Karrieren bringen Menschen zum Schreien, schnüffeln in Ställen und beschädigen mutwillig Autos. Klingt jetzt nicht so berauschend? Keine Sorge, bei den drei Stationen dieses Ausflugs ins Außergewöhnliche gibt es die genauen Hintergründe – zu Achterbahningenieuren, Umwelttechnikern und Unfallanalytikern. Für den ersten Stopp geht es auf der nächsten Seite erstmal hoch hinaus und steil abwärts.

Frei und schwerelos – Achterbahningenieure

Das Exotische zeigt sich gleich zu Beginn, wenn man über einen dichtbewachsenen, kurvigen Weg schlendert, vorbei an hölzernen Artefakten, bis man vor dem großen Koloss steht. Er ist 60 Meter hoch und schafft bis zu 110 km/h. Bezwingen können den Kampf der Giganten in der Lüneburger Heide alle Menschen ab zwölf und einer Größe von 1,40 Metern. Die Geheimnisse von »Colossos« kennen allerdings nur ein Mann namens Björn
Richter und sein Team. Der Senior Engineering und Service Manager hat im Heide Park Resort die technische Leitung aller Fahrgeschäfte inne – insgesamt sind das 37 Stück. Wenn Richter von seiner Arbeit erzählt, merkt man: Kein Tag ist hier wie der andere. Immer wieder kann für den Ingenieur etwas Unvorhergesehenes passieren und auch die verschiedenen Jahreszeiten machen die Arbeit im Park divers. »Während der Saison von April bis Oktober hat die Störungsbehebung oberste Priorität«, erzählt Björn Richter. »Hierbei gilt es, den oder die Fehler und deren Ursachen zusammen mit den Kollegen aus der Elektrik und der Mechanik zu finden und entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Bei großen Störungen sind dann Entscheidungen zu treffen und die Maßnahmen zu planen und einzuleiten.« Dazu stehen Planungen für kommende Projekte und Wartungen an. Jede der Attraktionen hat dabei ihre Eigenheiten. Bei »Colossos« ist es beispielsweise das Holzgerüst, das individuelle Wartung voraussetzt. »Während der Winterwartung«, erklärt Richter weiter, »liegt der Fokus auf der Umsetzung und zeitlichen Einhaltung der Wartungs- und Reparaturmaßnahmen. Hierbei treten immer wieder unvorhersehbare Probleme auf, die Entscheidungen und flexible Umplanungen erfordern. Klares Ziel ist der Saisonstart, vor dem alle Anlagen betriebsbereit und TÜV-geprüft sein müssen.«

Wer jetzt schon Lust hat, jeden Tag für einen sicheren Adrenalinkick bei Vergnügungshungrigen zu sorgen, dem muss klar sein: Es gibt natürlich nicht DIE Ausbildung oder DEN Studiengang, um technischer Leiter in einem Freizeitpark zu werden. Eine gute Grundlage ist sicher der Maschinenbau. Allerdings sind die Wartung und die damit verbundenen technischen Fragen zu komplex, dass ihnen allein damit begegnet werden kann. Das weiß auch Björn Richter: »Ein gutes Allgemeinwissen der Mechanik, der Elektrik und Steuerungstechnik, der Hydraulik und auch der Betriebswirtschaftslehre kann nur von Vorteil sein, Fähigkeiten im Projektmanagement sind unerlässlich für eine solche Position.«

Und wie steht es um den Vormarsch der Informatik im Freizeitpark? Auch die wird mehr und mehr zum Thema, obgleich die Anforderungen dafür hoch sind. Dazu zählt sowohl die reibungslose Kommunikation über mehrere Abteilungen hinweg, als auch das Thema Sicherheit. Soll die IT eine größere Rolle in der Wartung von Achter-
bahnen spielen, müssen sich Ingenieure zu hundert Prozent über die Zuverlässigkeit der Codes und Signaturen im Klaren sein – immerhin geht es um die Sicherheit der Fahrgäste. Aber auch bei der Struktur eines Parks können sich Probleme auftun, wie Richter erklärt: »Aufgrund des seit den 70er Jahren über Jahrzehnte gewachsenen, sehr großen Geländes fehlt teilweise für solche Umsetzungen oder Ansätze die Infrastruktur, hier sind wir ebenso wie bei Hard- und Software im steten Bestreben nachzubessern und uns zukunftsfähig aufzustellen.«

Es zeigt sich also mal wieder: Der Zukunftsweg des Ingenieurwesens liegt im stetigen Ausbau von Informatikkenntnissen, auch wenn praktisches Handanlegen und waches Organisationstalent die übergeordnete Rolle spielen. Es liegt an Leitungspersonen wie Björn Richter, zwischen allen Technikern des Parks zu vermitteln. »Hierbei sind sowohl Fähigkeiten der Gesprächsleitung, des Zuhörens und auch der schnellen Entscheidungsfindung gefragt«, so der technische Leiter. »Aufgrund der Aufgaben während der Saison ist ein hohes Maß an Flexibilität und Organisation sowie eine sehr hohe Stressresistenz erforderlich.« Auch die Komplexität und Verschiedenheit der einzelnen Attraktionen macht es unumgänglich, dass hier Ingenieure mit einem Talent für Übersichtlichkeit und Kreativität gefragt sind. Mal geht es um die Wartung einer Anlage mit immenser Beschleungigung, die aus dem Stand in 2,5 Sekunden 100 km/h erreichen kann; mal ist es die besondere Strecken-
formation, auf der ein enormes Zuggewicht von bis zu 10 Tonnen liegt. Jahr für Jahr gibt es in Freizeitparks neue Achterbahn-Entwicklungen, die immer extremer und waghalsiger daherkommen. Klar, dass auch die Wartungsarbeit für die Ingenieure im Freizeitpark immer herausfordernder, aber auch kreativer wird, immer dann wenn eine neue Attraktion das Gelände des Parks schmückt. Bis so eine neue Achterbahn überhaupt eingeweiht werden kann, ist es allerdings ein weiter Weg. Noch vor vielen Testfahrten und der Konstruktion der Achterbahn nimmt sie ihren Ursprung auf dem Schreibtisch eines Ingenieurs.

Die Geschichte der Holzachterbahn »Colossos«, die seit 2001 im Heide Park steht, beginnt im Münchener Ingenieurbüro Stengel. Für Fans der Branche ist das alles andere als ein unbekannter Name. Gründer Werner Stengel hat mit seinen Entwicklungen die Konstruktion von Fliegenden Bauten weltweit beeinflusst. Unter anderem revolutionierte er das Konzept des Loopings, indem er dafür statt eines Kreises eine Klothoidenform einplante. Diese sorgt bis heute auf jeder Achterbahn für sanftere Übergänge. In fünfzig Jahren hat das Ingenieurbüro Stengel an mehr als 700 Achterbahnen gearbeitet und ist auch heute noch aktiv. Unter einem Dach wird dort die gesamte Planung für Fahrgeschäfte übernommen – von der Erstellung des räumlichen Verlaufs einer Achterbahntrasse und Berechnung der Fahrdynamik über das Planen eines Tragwerks, um die auftretenden Lasten in den Boden abzuleiten, bis zu den Fertigungsdaten von Fahrschiene und Tragwerk für die Bahnhersteller. Es versteht sich von selbst, dass die sichere statische Konstruktion der Attraktionen heute nur mithilfe von KI möglich ist. Das unterstreicht auch der Geschäftsführer des Ingenieurbüros Stengel Christian Stelzl: »Ohne IT geht es nicht – und das bei uns schon seit mehr als 50 Jahren. Ohne Computer und Rechenprogramme, die wir über Jahrzehnte entwickelt und immer wieder angepasst haben, wären Achterbahnen wie wir sie heute kennen, nicht möglich.« Stelzl betont, dass aufgrund der speziellen Anforderungen an die Konstruktion die Standardsoftwares zur Berechnung nicht reichen und selbst programmiert werden müssen. »Dynamik- und Tragwerksberechnung aber auch z. B. die Erstellung der Biegeanweisungen sind sehr rechenintensive Anwendungen. Die Modellgrößen werden aufgrund immer genauerer Berechnungen fortwährend größer, so dass die Rechnersysteme an die aktuellen Herausforderungen laufend angepasst werden müssen.« Davon abgesehen sind es vor allem interdisziplinäres, praxisbezogenes und räumliches Denken, die einen Achterbahningenieur auszeichnen sollten. Der Vorteil dabei: Bei einer Achterbahn werden Expertisen aus allen Gebieten des Ingenieurhandwerks gebraucht. »Der ingenieurlichen Kreativität und Entwicklung sind unabhängig von der anfänglichen Ausrichtung kaum Grenzen gesetzt«, stellt auch Christian Stelzl fest und dank des weltweiten Vergnügungshungers sind die internationalen Achterbahnhersteller und Planungsbüros gut vernetzt, sodass auch eine spätere berufliche Zukunft im Ausland durchaus in Frage kommt. Ganz egal also, ob Adrenalinjunkie oder nicht – eine Karriere im Achterbahnbau bietet für alle Ingenieurgruppen einen wechselhaften Arbeitsalltag und die Passion, vielen Menschen eine spaßige und actionreiche Zeit zu bescheren. Und auch die Achterbahnplaner selbst haben ihren Spaß, wenn das fliegende Bauwerk endlich steht: »Nach Monaten der Beschäftigung mit einer Achterbahn am Computer kennt man scheinbar jede Schraube – aber der erste Anblick des Tragwerks in seiner Gesamtheit ist oft überwältigend«, erzählt Christian Stelzl. »Wenn dann am Bahnende abgebremst wird und die Passagiere leuchtende Augen haben und begeistert klatschen, weiß man: man hat alles richtig gemacht und hat allen Grund, stolz zu sein.«

Riechst du was? – Ingenieure für gute Atemluft

Die nächste Etappe unserer Reise beginnt an einem Ort, an dem man die Großstädte London, Peking und Neu-Delhi mit nur wenigen Schritten Entfernung erleben kann. Klingt unmöglich? Nicht für die Installation des Künstlers Michael Pinsky. Zum World Earth Day 2018 wurden dessen »Pollution Pods« in London errichtet. Dabei handelt es sich um fünf begehbare und miteinander verbundene Kuppeln, welche die Luftqualität verschiedener Orte der Welt widerspiegeln. Mit der eigenen Nase lässt sich so im direkten Vegleich erleben, worin die Unterschiede zwischen dem äußerst verschmutzten Delhi und einer dünn besiedelten norwegischen Halbinsel liegen. Die Idee Pinskys ist klar: Die vorherrschende Luftqualität beinflusst unser aller Lebensqualität und -dauer. Allerdings hat sich schon oft genug gezeigt, dass durch technische Innovationen etwas gegen schlechte Atmosphäre getan und die Luftqualität deutlich verbessert werden kann. Um den stetig wandelnden und unterschiedlichen Luftbedingungen zu begegnen, lohnt sich ein Blick in die Umwelt- und Verfahrenstechnik. Dabei handelt es sich natürlich erst einmal um alles andere als ein Nischengebiet des Ingenieurwesens. Ganz im Gegenteil liegt vor Absolventen mit diesem Schwerpunkt ein weites Feld zur Entfaltung. »Die Berufsaussichten für Absolventinnen und Absolventen der Verfahrens- und Umwelttechnik sind sehr gut und die Einsatzmöglichkeiten nach Abschluss des Studiums sind vielseitig«, erklärt dazu Prof. Arno Detter, Studiendekan an der Hochschule Konstanz und Experte für Umwelttechnik und Chemie. »Sie finden sich unter anderem in den Bereichen Chemie, Pharma, Health Care, Food, Energie- und Umwelttechnik sowie Umweltämtern und Forschungseinrichtungen.«

An dieser Stelle soll der Schwerpunkt allerdings auf der Karriere für Ingenieure liegen, die für die Reinhaltung unserer Luft sorgen – für das Herausfiltern von Schadstoffen und Eliminieren von Gerüchen. Gerade im Zuge der Covid-19-Pandemie wurde deutlich, wie wichtig die Reinhaltung der Atemluft ist. Dass hierfür auch Verfahrenstechniker eine ganze Menge tun können, zeigt ein aktuelles Informationsblatt des Verbandes deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Hier werden die Potentiale von Luftfilteranlagen deutlich gemacht – vor allem für die Minimierung gefährlicher Aerosole. Der Einsatz dieser Technik kann nicht nur die gleiche Luftqualität erzeugen wie ein weitgeöffnetes Fenster. Durch Automation kann auch auf Zeit, Temperatur oder CO2-Gehalt in der Luft reagiert werden. Doch auch, wenn gerade keine weltweite Pandemie vor der Tür steht, gibt es zahlreiche Baustellen, an denen Hand angelegt werden muss. »Im Bereich des Immissionsschutzes entwickeln und betreiben Verfahrensingenieure z. B. Abluftreinigungsanlagen für Abfall- und Sonderabfall-Verbrennungsanlagen, um den Eintrag von Luftschadstoffen in die Atmosphäre zu verhindern und die strengen gesetzlichen Auflagen einzuhalten«, zählt Prof. Mathias Wilichowski auf. Der Ingenieur lehrt Maschinenbau sowie Verfahrens- und Umwelttechnik an der Hochschule Wismar. »Verfahrens- und Umweltingenieure sind auch gefragt, wenn es um die Vermeidung und Reduzierung von Geruchsemissionen geht.

Damit sind sowohl die wirklich unangenehmen Gerüche einer Kläranlage, aber auch Lebensmittelfabriken, Kaffeeröstereien oder ähnliche Produzenten von Geruch, mit dem man nicht ständig das nahe Umfeld belasten möchte, gemeint. (Eine ganz andere Art von Geruchsingenieuren, die für gute Gerüche sorgen, stellen wir hier in der rechten Spalte vor.) Die Herausforderungen für Ingenieure sind zahlreich, auch dank immer strengerer Reglementierungen was Immissionen angeht. Erst Ende letzten Jahres kam es zu einer Neuauflage der »Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft.« Neben Höchstgrenzen für den Ausstoß von Stickoxiden sind dort nun erstmals klare Regelungen für den Ausstoß störender Gerüche vorgesehen. Auch am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP forscht man zum Thema Gerüche; mit eigens dafür ausgebildeten »Schnüffler-Probanden« wird dort vor allem die Geruchsintensität von Baustoffen ermittelt. Diese sogenannte »olfaktologische Analyse« orientiert sich an einer vom Fraunhofer IBP festgelegten Skala, um eventuelle Fehl- oder Störgerüche frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Viel zu tun ist daher allemal. Die besten Karriere-Karten unter allen Freunden der guten Luft haben Absolventen des Verfahrens- und Umweltingenieurwesens. Dieser Studiengang lässt sich mittlerweile an immer mehr Unis belegen, sowohl im Bachelor wie auch aufbauend im Master. Die verwandten Bereiche Chemie- oder Bioverfahrenstechnik sind ebenfalls gute Einstiegsmöglichkeiten in die Branche. Prof. Mathias Wilichowski von der Hochschule Wismar gibt genaue Einblicke in die Lehre: »Das Studium der Verfahrens- und Umwelttechnik ist so breit angelegt, dass sowohl grundlegende Kenntnisse des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, der Informatik als auch der Chemie, Biologie, Biochemie und selbstverständlich vertiefte Kenntnisse der verfahrenstechnischen Disziplinen vermittelt werden. Damit sind Verfahrensingenieure bestens ausgestattet, auch in koordinierender und leitender Funktion komplexe Anlagen zu projektieren, zu bauen und zu betreiben.« Was Soft Skills angeht gibt Arno Detter von der HTWG Konstanz folgende Tipps: »Neben dem technischen Fachwissen brauchen erfolgreiche Umwelt- und Verfahrensingenieure Wissen im Projektmanagement, Kenntnisse der Präsentationstechnik und zur Vermittlung technischer Zusammenhängen die Fähigkeit zum Schreiben technischer Berichte.« Natürlich gehört zu den besten Werkzeugen eines Ingenieurs für einwandfreie Luft und Gerüche eine gute Nase: Immerhin kommt es darauf an, den Ursprung von Störgerüchen in Ställen, Fabriken und Anlagen schnellstmöglich auszumachen, um ihn danach bestmöglich zu verhindern. Besonders geschult oder sogar von Geburt gesegnet muss die Nase allerdings nicht sein. Die zunehmende Berufserfahrung schult den Geruchssinn von ganz allein.

Dazu empfiehlt Professor Wilichowski noch »gute Kommunikationsfähigkeiten, selbstverständlich auch in englischer Sprache. Eine strukturierte und ziel-orientierte Arbeitsweise wird ebenso vorausgesetzt wie interkulturelle Kompetenzen bei der Zusammenarbeit mit Kollegen und Partnern in einer globalisierten Arbeitswelt.« Mit diesem Bündel gepackt lässt sich schon einiges für die Reinhaltung der Luft tun und es ist davon auszugehen, dass die Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen in Zukunft immer größer und konkreter werden – nicht nur wegen dem stetig dringlicheren Schutz der Umwelt. Hilfreich sind bei diesem Weg Richtung Zukunft viele technische Innovationen, die bereits heute schon möglich sind. »So sind z. B. bereits Dachziegel auf dem Markt verfügbar, die mithilfe einer katalytischen Beschichtung in der Lage sind, aus dem Straßenverkehr stammende Stickoxide in der Luft unschädlich zu machen«, so Wilichowski. »In Island ist im Herbst letzten Jahres die derzeit größte Anlage in Betrieb gegangen, mit der das klimaschädliche Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernt und in Form von Kalk im unterirdischen Basaltgestein dauerhaft eingelagert werden kann. Diese wenigen Beispiele machen deutlich, dass Verfahrens- und Umweltingenieure ständig vor neue und spannende Herausforderungen gestellt werden.« Gute Voraussetzungen also. Es liegt eine ganze Menge Optimismus für die Zukunft in der Luft.

Boom, Crash, sound of my car – Unfallanalytik

Unsere Reise durchs Exotische geht weiter und führt dabei auch durch dichte Wälder und undurchsichtige Gegenden. Für unser Expeditionsteam wäre es da ziemlich brauchbar, einen echten Spurenleser dabei zu haben – jemanden, der aus kleinsten Hinweisen Großes entdeckt und für alles einen Ausweg findet. So ein Detektiv unter den Ingenieuren ist am ehesten zu finden, wenn wir uns die Branche der Unfallanalytiker einmal genauer anschauen. Jeden Tag kracht es irgendwo auf deutschen Straßen. 2020 zählte das statistische Bundesamt mehr als 2,2 Millionen polizeilich erfasste Unfälle. Der dabei entstandene Schaden ist natürlich nicht immer vollkommen eindeutig. Manchmal kommt es zu Streitereien zwischen Autofahrern, die sich nicht einig werden wollen, wie es nun zum Unfall kam. In einigen Fällen entscheidet ein Gerichtsprozess über die Schuld. Spätestens dann werden Unfallanalytiker zu Rate gezogen. Die spezialisierten Ingenieure analysieren die Geschehensorte, stellen die Crashs nach und können als Gutachter vor Gericht aussagen. Wer also gerne mit seinem Ingenieurwissen helfen möchte, Ordnungswidrigkeiten und Verbrechen aufzuklären, sollte über eine Karriere in der Branche nachdenken. Auf die Suche nach einem entsprechenden Studiengang »Unfallingenieurwesen« brauchst du dich allerdings nicht machen. Gut aufgestellt bist du mit einem soliden Schwerpunkt auf Fahrzeugtechnik und Maschinenbau. »Das Gebiet der Unfallrekonstruktion ist so vielseitig, dass es vor allem auf das technische Verständnis mit Praxisbezug ankommt«, sagt Dr. Ingo Holtkötter. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige ist Teil des Ingenieurbüros Schimmelpfennig+Becke, das sich seit über 40 Jahren auf die Analyse und Rekonstruktion von Unfällen spezialisert. Holtkötter erklärt, was die Expertise von guten Unfallanalytikern auszeichnet: »Sowohl technische Generalisten als auch Ingenieure und Physiker mit Spezialwissen sind hier gefragt. Typische Wissensfelder sind z. B. Maschinenbau oder Fahrzeugtechnik zur Beurteilung technischer Abläufe und Funktionen, Elektronik und Programmierung zur Analyse von Fahrassistenzsystemen bzw. Manipulation und Diebstahl von Fahrzeugen oder auch die Biomechanik zur Beurteilung von Insassenbelastungen und Verletzungsrisiken.« Auch kommunikative Fähigkeiten sind unabdingbar. Immerhin kommt es darauf an, komplizierte technische Fakten auch an Laien vermitteln zu können. Ebenfalls für Aussagen in Gerichtsprozessen darf man als sachverständige Person nicht auf den Mund gefallen sein. Die Aufgabenbereiche sind durchaus vielseitig, schließlich ist ja kein Autounfall exakt wie der andere, dennoch gibt es oft gewisse Ähnlichkeiten zu zurückliegenden Fällen, wobei sich die eigene Expertise mit zunehmender Berufserfahrung verstärkt. Für die rechtlichen Grundlagen braucht es kein vorangehendes Jurastudium. Ganz vorbei kommt man an den Gesetzestexten aber nicht. »Allerdings erlernt man das in der Berufspraxis schnell, wenn man auf erfahrene Kollegen als Mentor zurückgreifen kann«, erklärt Holtkötter. »Im Gerichtsprozess gerät man jedoch automatisch in ein juristisches Spannungsfeld, was auch sehr reizvoll ist, wenn man mit qualitativ hochwertiger Vorarbeit seine Ergebnisse im Gerichtssaal vorstellen darf.«

Aber keine Sorge: Unfallanalytiker sitzen nicht ausschließlich am Schreibtisch oder im Gericht rum. Ganz praktisch wird es, wenn es um die Rekonstruktion von Unfällen geht. Hier ist vor allem die kreative Seite gefragt. Beim Einsatz auf der Crashstrecke kommt es auf genaues Messen und auch Improvisationstalent an. Die Analytiker simulieren hier möglichst genau den noch so ungewöhnlichsten Unfallhergang – mit speziell präparierten Autos, Dummys und der Hilfe von technischen Instrumenten. Mittlerweile gibt es auch Datenbanken bereits durchgeführter Crashtests, auf die Analytiker der ganzen Welt zurückgreifen können, damit nicht bei jeder Rekonstruktion zwangsläufig ein Testauto geschrottet werden muss und auch eine gewisse Expertise in IT ist hier nötig, denn auch die Auswertung der Softwaredaten des Wagens kann Aufschluss über das Geschehen geben. Zusammen mit den anderen Beweismitteln entsteht etwas, das der Unfallanalytiker Holtkötter »ein großes Puzzle« nennt. »Die Grundlage einer Unfallrekonstruktion ist logisches Denken und Kombinieren.« Neben den eindeutigen, belastbaren Beweisen von der Unfallstelle – wie zum Beispiel Fotos – kommen dazu noch die Fallakten der Polizei oder Zeugenaussagen. All das müssen die fachkundigen Ingenieure detektivisch kombinieren und sich von Theorie zu Theorie hangeln, um herauszufinden, wie der Unfall wirklich geschehen ist.

Neben Crashs bei voller Fahrt, gibt es allerdings auch Fälle von Sabotage, Beschädigungen in Waschanlagen oder nur vermeintliche Unfälle, bei denen Fahrer gerne eine hohe Versicherungssumme abkassieren möchten. »Unfallanalytiker rekonstruieren aber nicht nur Straßenverkehrsunfälle«, deutet Ingo Holtkötter an,   »sondern analysieren je nach Spezialisierung z. B. auch Arbeits- oder Haushaltsunfälle. Durch das sehr weite Betätigungsfeld kann man sich auch auf technische Fragestellungen oder auf Verletzungsmechanismen konzentrieren, die dann häufig interdisziplinär mit Medizinern bearbeitet werden. Deswegen macht es besonders viel Spaß, in einem größeren Team von Spezialisten zu arbeiten.« Auch der Einsatz direkt am Unfallort kann vorkommen, wenn es um schnelle Aufnahme der Umstände geht. Hier sollte jedem Unfallanalytiker klar sein, auch mit sehr heftigen Eindrücken von Verletzten oder Getöteten konfrontiert zu sein, da auch das Ausmaß von Verletzungen durchaus ein Indiz für den Unfallhergang sein kann. Um sich dem zu wappnen kommt es auf einen guten Teamspirit an und den Austausch mit Kollegen. Fazit: Kreative Bastler und logikfokussierte Spürnasen unter den Ingenieuren haben hier alle Möglichkeiten zum Verwirklichen.

Die Reise durchs Exotische findet damit ein Ende – ganz schön vielseitig, was? Eines hat sich dabei auf jeden Fall gezeigt. Der Tellerrand zum Drüberschauen bietet die verschiedensten Horizonte. Es gibt eine Vielzahl von außergewöhnlichen Möglichkeiten, die alle mit einem grundlegenden Ingenieurstudium beginnen. Gerade beginnende Studierende sollten sich bewusst sein, dass sie mit ihrer Ausbildung im Maschinenbau oder der Elektrotechnik nicht nur in der Energiewirtschaft oder Fahrzeugproduktion zum Einsatz kommen, sondern sich in den individuellsten Karrieren verwirklichen können. Und dafür braucht es in den meisten Fällen noch nicht einmal einen speziellen Studienschwerpunkt, sondern einfach die Lust und ein kleines bisschen Mut, mal was Anderes zu probieren. Vielleicht stammt dann die nächste Achterbahn-Sensation oder Luftfilter-Revolution von dir; vielleicht bist du mit deiner Expertise an der Aufklärung von Unfällen beteilgt und hilfst dabei, den Straßenverkehr sicherer zu machen; ja, vielleicht entwickelst du auch DEN neuen Duft eines Autos. Es braucht nicht so viel, um dieses »vielleicht« wegzulassen: Strecke einfach deine Fühler aus. Es lohnt sich!

 


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