Wer im November diesen Jahres gegen 23 Uhr im Zug Richtung Köln sitzt und gerade auf der Hohenzollernbrücke den Hauptbahnhof ansteuert, den erwartet ein ungewohnter Blick aus dem Fenster. Man sieht nämlich: nichts. Wo sonst der Dom hell erstrahlt, blickt man in tiefste Dunkelheit. Im August 2022 beschließt die Stadt Köln, als wichtiges Symbol für das Energiesparen, die weltberühmte Kirche nachts nicht mehr zu beleuchten. Die Abschaltung der Beleuchtung öffentlicher Gebäude ist nur eine der Maßnahmen, mit der die Bundesregierung zum Energiesparen aufrufen will. Angesichts des Ukrainekrieges ist es ein großes Ziel, Deutschland vom russischen Gas unabhängig zu machen – und damit auch von den 10,5 Prozent Erdgas, die 2021 den deutschen Strommix ausmachten. Es stellt sich noch einmal dringlicher die Frage: Wer bringt uns bald das Licht in die Wohnung? Während die einen in der Weiterführung von Kohle- und Atomkraftwerken eine Brücken-Technologie sehen, gibt es auf der anderen Seite viele ideenreiche Ingenieure, die an unabhängigem Strom aus erneuerbaren Quellen tüfteln.
Wohin weht der Wind?
Als die Bestsellerautorin Juli Zeh 2016 ihren Roman »Unterleuten« veröffentlichte, in dem es um den Ausbau von Windkraft in einem fiktiven brandenburgischen Dorf geht, trifft sie damit enorm den Zeitgeist, der bis heute anhält. Windräder sind das Symbol der Energiewende – für die einen Hoffnungsträger, für die andere polarisieren die riesigen Konstruktionen noch immer in eine negative Richtung. Für 2021 stellt das Fraunhofer ISE einen Windkraft-Anteil von 23 Prozent an der deutschen Stromerzeugung fest. Das sind zwar 14,5 Prozent weniger als 2020, trotzdem hat die Windenergie insgesamt den größten Anteil an der deutschen Stromversorgung. Selbstverständlich bringt dieser Markt und die hohe Nachfrage nach weiterem Ausbau, eine enorme Wirtschaftskraft mit sich. Eigentlich sollte der Arbeitsmarkt in der Windkraftbranche daher mehr als rosig aussehen, oder? Nun, ja und nein.
Die Nachfrage ist wahrhaft gigantisch. Das sorgt natürlich für ein dementsprechend hohes Angebot und Kämpfe um möglichst kostengünstige Anlagen auf dem Markt. Mittlerweile ganz vorne mit dabei: China. Das bevölkerungsreichste Land der Welt ist führend im Ausbau von Offshore-Windparks und zunehmend auch in Deutschland für die Errichtung von Anlagen zuständig. Währenddessen haben es die deutschen Hersteller immer schwerer. Erst im vergangenen Juni stellte der Rostocker Fabrikant für Rotorblätter »Nordex« seinen Betrieb ein, woraufhin 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Job verloren. Die Situation erinnert ein wenig an die Photovoltaik-Branche, bei der Anfang der 2000er noch europäische Länder marktführend waren. Inzwischen findet hier die Produktion zu über 70 Prozent in China statt. Wie macht sich diese internationale Verschiebung bei deutschen Herstellern bemerkbar? Tanja Meyer arbeitet beim Nürnberger Unternehmen »eolotec«, das sich auf Sensor- und Wälzlagersysteme bei Windkraftanlagen spezialisiert: »Das internationale Geschäft verkompliziert natürlich die Terminplanung während des Tages und es wird mehr Englisch in Besprechungen gesprochen«, führt sie aus. »Ein Nachteil von internationalen Partnern sind längere Reisewege – man steigt nicht mehr schnell in die Bahn, um sich eine Montage oder Fertigung anzusehen. Somit läuft vieles über die gängigen Kommunikations-Plattformen und deutlich weniger im direkten, persönlichen Austausch. Die Entwicklungen selbst folgen internationalen Standards. Zum Glück gibt es aber auch in Deutschland noch eine große Anzahl an Bestandsanlagen, die wir mit unseren Sensoren, Upgrades und Austauschlösungen bedienen.« Ganz so verheerend steht es um den Markt der deutschen Windenergie-Unternehmen also zum Glück noch nicht und die Branche ist immer noch die zukunftsträchtigste für Ingenieure, die sich als »Lichtbringer« verwirklichen wollen. Studienschwerpunkte können dabei ganz verschieden ausfallen: »Es gibt Studiengänge, die auf Windenergie spezialisiert sind«, erklärt Meyer. »Zum Beispiel kann man in Kiel, Flensburg oder Oldenburg in unterschiedlichen Ausführungen Studiengänge absolvieren, die Windkraft als Themengebiet haben.« Aber auch der Maschinenbau, die Elektrotechnik und das Bauingenieurwesen seien gute Einstiegsmöglichkeiten für eine Karriere in der Windkraft. Selbstverständlich machen die in der Uni erworbenen Hard Skills noch keinen perfekten Wind-Ingenieur. »Häufig ist die Windkraft Projektgeschäft«, so Tanja Meyer. »Das heißt, man sollte strukturiert arbeiten können, Deadlines im Blick haben und auch mit Druck sollte man hin und wieder klar kommen. Eine gewisse Portion Idealismus und ein ›grüner Gedanke‹ sind bestimmt auch hilfreich. Man trifft viele Menschen, deren Herzenssache es ist, in dieser Branche zu arbeiten. Auch die IT wird in diesem Gebiet immer wichtiger.« Gerade hier entwickeln sich, so Meyer, immer mehr digitale Lösungen, vor allem was die Wartung und den potentiellen Weiterbetrieb der Anlagen angehe.
Perfekte Welle?
Selbstverständlich muss gerade alles sehr schnell gehen und der Fokus liegt vor allem auf den ausgereiften Technologien. Unter den erneuerbaren Energien sind nun einmal Windkraft und Photovoltaik die großen Stars im Blitzlicht der Berichterstattung. Doch gibt es da noch ein paar andere, die teilweise schon lange recht unbeachtet scheinen, aber vielleicht in einigen Jahren ihren Ruhm einfahren könnnen. Ein solcher Fall ist die Meeresenergie. Hier gibt es schon seit den Sechziger Jahren Versuche, die Wasserbewegungen durch Wellen und die Gezeiten nutzbar zu machen, denn wo Bewegung ist, kann daraus auch Energie gewonnen werden. »Das Potenzial der Meeresenergie ist unvorstellbar hoch«, meint Alexander Nollau, Abteilungsleiter Energy bei der »Deutschen Kommission Elektrotechnik Elektronik (DKE)«. »Die Internationale Energie Agentur beziffert dieses Potenzial auf bis zu 80.000 Terawattstunden pro Jahr. Das europäische Netzwerk ›Ocean Energy Europe‹ prognostiziert sogar, dass bis 2050 rund zehn Prozent des derzeitigen Strombedarfs in Europa durch Meeresenergie gedeckt werden könnte.« Warum aber steht diese potentielle und zuverlässige Stromquelle noch längst nicht in einer Reihe mit Wind- oder Sonnenkraft? Die Herausforderungen sind leider noch immer ziemlich groß: Bei Gezeitenkraftwerken ist das Problem, dass sich die Stärke der Strömung – der sogenannte Tidenhub – von Küste zu Küste unterscheidet. Nicht jede Region eignet sich demnach für den Einsatz. »Das Nordseegebiet in Deutschland ist zu flach, die Strömungen nicht stark genug. Daher ist der Ausbau noch nachrangig«, erklärt Nollau. Anlagen, die komplett unter Wasser gebaut werden, sind zudem ständig Salzwasser ausgesetzt, was eine häufige Wartung zur Folge hat. Demgegenüber stehen noch viel zu hohe Kosten für die Inbetriebnahme. Für Ingenieure, die sich hier gerne beruflich verwirklichen würden, ist daher in erster Linie die Forschung interessant. Es gibt aber auch bereits in Deutschland Unternehmen, die hier produzieren, wie Alexander Nollau zu berichten weiß: »Diese Felder können in der Auslegung und Konstruktion sein und vor allem einen mechanischen Hintergrund haben. Aber natürlich können auch der elektrische Anschluss und die elektrische Auslegung Betätigungsfelder sein.« Gerade da sich die Branche noch im Anfangsstadium befände, so der Experte, sollten viel Engagement für die Sache und die Leidenschaft zur Problemlösung zu den Fähigkeiten eines Ingenieurs gehören.
Wer bringt uns denn nun das Licht? Diese Frage stellen sich in diesem Winter viele und eines hat dabei höchste Relevanz bekommen: die unabhängige Produktion von nachhaltigem Strom am Standort Deutschland. Daher sind mehr denn je Ingenieure gefragt, welche die Energiewirtschaft am Laufen halten – sei es im Ausbau und der Perfektion der bestehenden Systeme oder der Erforschung und Erprobung neuer Möglichkeiten. Gelingt diese Stärkung der Energiebranche, dann wird es nicht so schnell duster.