Emil on Tour
Immer wenn »emil« den Braunschweiger Amalienplatz erreicht, kann er aufatmen und für circa dreißig Sekunden Energie tanken. Dann geht es auf seiner zwölf Kilometer langen Tour weiter, bis er wieder den Bahnhof erreicht und ganze elf Minuten zum Erholen hat. Natürlich ist hier kein Profisportler gemeint – ein herausragendes Talent ist »emil« der Linienbus aber allemal. Sein Name verrät das Besondere an ihm: »Elektromobilität mittels induktiver Ladung«. Seit 2014 gibt es das Projekt der Braunschweiger-Verkehrs GmbH bei der mittlerweile fünf »emil«-Busse die Ringlinie 419 befahren – ein sechster in Richtung Flughafen ist in Planung. An insgesamt sechs Haltestellen auf der Fahrstrecke sind induktive Ladeplatten in den Boden eingelassen. Immer wenn der Elektrobus dort vorfährt und die Fahrgäste ein- und aussteigen, erkennt die Ladestation das Fahrzeug automatisch und der Ladevorgang beginnt völlig ohne Kabel. Die Energieübertragung unterscheidet sich dabei kaum vom heimischen Induktionsherd. Das Geheimnis der Platte in der Haltestelle ist ein elektromagnetisches Wechselfeld, das die Energie auf den Bus überträgt. Massentauglich ist das Modell allerdings noch nicht. So sind die weiteren 50 E-Busse, die Braunschweig bis 2025 anschaffen will, alle ohne induktive Ladetechnik ausgestattet.
Von Braunschweig nach Berlin
Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung von »emil« war die Technische Universität Braunschweig und das dort ansässige Institut für Hochspannungstechnik und Energiesysteme »elenia«. Seit August vergangenen Jahres entwickeln die Braunschweiger an einem weiteren Projekt mit kabelloser Ladetechnik: diesmal für Elektrofahrzeuge eines Lieferdienstes. In Zusammenarbeit mit der INTIS GmbH und dem Berliner Logistik- und IT-Unternehmen »Fairsenden« sollen bald schon große Sprinter auf den Berliner Straßen unterwegs sein – so das Ziel des Projektes »LISA4CL«. »Die TU Braunschweig hat eine lange Erfahrung mit dem induktiven Hochleistungsladen«, erklärt Prof. Bernd Engel vom elenia Institut. »Nach den erfolgreichen ›emil‹-Bussen in Braunschweig wollen wir das bei LISA4CL kleiner, leichter und kostengünstiger für PKW und leichte Nutzfahrzeuge entwickeln und real erproben.« Neben der primären Nutzung von erneuerbarem Strom sei es ein wichtiges Ziel, die Überlastung der lokalen Verteilungsnetze zu verhindern. Einer der Gründe, warum es noch nicht zum flächendeckenden Ausbau induktiver Ladetechnik gekommen ist: das Fehlen einer normierten Technik. Natürlich soll das Auto in München genauso laden wie in Berlin. Trotz dieser strebsamen Projekte ist also zu merken: Es bedarf noch der Forschung und Entwicklung.
Spannungsvolle Perspektiven
Einer der dazu beiträgt die induktive Energieübertragung voranzubringen ist Stefan Ditze am Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB. »In der Abteilung Fahrzeugelektronik haben wir in den vergangenen Jahren verschiedene induktive Energieübertragungssysteme entwickelt. Nach dem Aufkommen erster rein elektrischer Fahrzeuge haben wir ein induktives Ladesystem für einen unserer Versuchsträger entwickelt«, erzählt der Ingenieur. »Wir haben uns die Frage gestellt, wie der elektrische Wirkungsgrad für ein solches System weiter gesteigert werden kann.« Anstatt die Spule wie bisher unter das Fahrzeug zu setzen, haben Ditze und sein Team den Versuch gestartet, die Ladelösung in das Nummernschild zu integrieren. »Dies hat den entscheidenden Vorteil, dass der prinzipbedingte Luftspalt zwischen der Sende- und Empfangsspule deutlich reduziert werden konnte und wir die Verluste eines solchen Systems um 30 Prozent reduzieren konnten bei gleichzeitig geringerem Materialaufwand.« Neben dem Ziel, möglichst nachhaltig zu entwickeln, steht im Falle der Mobilität vor allem der Komfort des Fahrers im Vordergrund. Im Gegensatz zum herkömmlichen E-PKW kann man beim Ladevorgang einfach im Wagen sitzen bleiben – was gerade bei schlechtem Wetter ein großes Plus ist. »Zum anderen bietet sich durch die in den Boden integrierte Sendespule kein Angriffspunkt für Sabotage und Beschädigung«, ergänzt Ditze. »Stichwort Diebstahl von Kupfer in Ladekabeln, was bereits jetzt einen beträchtlichen finanziellen Schaden pro Jahr verursacht.«
Kontakt zur Karriere
Es zeigt sich: Ingenieure und ITler, die ihre Zukunft in der Automobil-Branche planen
– gerade im Bereich des autonomen Fahrens – sollten induktive Ladetechnik definitv auf dem Schirm haben. Stefan Ditze prognostiziert, dass bereits im Jahr 2030 ein enormer Fortschritt erzielt werde – unter anderem bei der Höhe der Leistung. »Schon jetzt arbeiten Forscher an Möglichkeiten, die üblichen Ladeleistungen bei der induktiven Ladetechnik von aktuell elf Kilowatt für ein Elektrofahrzeug zu erhöhen und bei gleichem Materialeinsatz und hohen Wirkungsgraden zu verzehnfachen«, so der Experte. Auch das Thema dynamische Ladung – also das Aufladen des Akkus während der Fahrt – soll eine zunehmend größere Rolle spielen. Allen, die sich an dieser Entwicklung beruflich beteiligen wollen, empfiehlt Ditze, sich bereits im Studium mit Leistungselektronik auseinanderzusetzen. Auch im Modul Werkstoffwissenschaften sollte man aufpassen, denn dort lernt man, die eingesetzten Materialien immer wieder zu überdenken. Des Weiteren ist natürlich immer Innovationsdenken und Kommunikationstalent für die fachlich diversen Teams wichtig.
Wo lädt es sonst noch auf?
Robotik
Im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus könnten schon bald die oft eingesetzten Schleifringsysteme, welche die Energie leiten, ersetzt werden. Eine induktive Lösung wäre hier deutlich effizienter und wartungsärmer, da im Gegensatz zu den bewährten Systemen Abrieb und Verschleiß vermieden werden können. Auch bei der Energieversorgung von mobilen Roboterarmen sind Kabel störend. Eine induktive Ladung kann hier unnötige Fehler und Wartungen verhindern.
Medizin
»Die Medizintechnik profitiert ebenfalls von der induktiven Energieübertragung«, erklärt Ditze. »Moderne Implantate wie Herzschrittmacher, Insulinpumpen oder Cochlea-Implantate werden berührungslos mit Energie versorgt oder aufgeladen, was einen deutlichen Mehrwert für die Patienten bedeutet. Es müssen keine Batteriewechsel mittels operativer Eingriffe durchgeführt werden.«