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WTF is FTS? – Fahrerlose Transportsysteme 2023

Autonomes Fahren konnte sich im Personentransport noch nicht durchsetzen. Waren werden hingegen schon längst autonom transportiert. Wie? Mit Fahrerlosen Transportsystemen! Wen es braucht, wie die Lage aussieht und ein Blick in die Zukunft.

Eine große Logistikhalle, viele Regale, die bis unters Dach der meterhohen Hallen ragen, prall gefüllt mit Bauteilen und weiteren Materialien zur Herstellung der neuesten Technologien. Dazwischen schmale, dunkle Gänge. Wie an einem Netz orientiert fahren an ihnen kleine, unscheinbare Roboter entlang. Komplett eigenständig bahnen sie sich ihren Weg durch die Lagerregale. Doch was hat es mit diesen Fahrerlosen Transportsystemen (FTS) auf sich?

Völlig losgelöst

Genauer gesagt sind FTS oder autonome (Transport-)Roboter innerbetriebliche, bodengebundene Transportsysteme, die automatisch gesteuert werden. Dabei können sie sowohl innerhalb sowie außerhalb von Lagerhallen bzw. Gebäuden eingesetzt werden. Normalerweise kann man sich die autonomen Fahrzeuge wie ein verbundenes Netz vorstellen. Die Roboter folgen bestimmten Pfaden, die durch Drähte oder Magnetspuren verbunden sind. Die FTS folgen diesen Wegen oder richten ihre Bewegungen – zum Beispiel durch Kameras oder Laser – daran entlang aus. Meist werden Fahrerlose Transportsysteme in der Logistik für den Transport von Materialien oder Bauteilen eingesetzt. Dabei ist zu beachten, dass dabei verschiedene Arten von Transportfahrzeugen zum Einsatz kommen können – wie zum Beispiel Abschlepp-, Leichtgut- oder Gabelstapler-FTF (Fahrerlose Transportfahrzeuge). Die Logistik und damit auch Intralogistik habe durch die Corona-Pandemie in vielen Kundenbranchen noch einmal erheblich an Relevanz gewonnen, so Steffen Bersch, Vorstandsvorsitzender des VDMA-Fachverbands Fördertechnik und Intralogistik sowie CEO der SSI SCHÄFER Gruppe. »Lieferengpässe und Materialmangel führen in vielen Bereichen zu veränderten Konzepten in der Bevorratung und Produktionsversorgung. Entsprechend ist die Nachfrage nach Intralogistiklösungen gestiegen«, fügt Bersch hinzu. Der Markt für autonome Materialtransportsysteme hat in den letzten zwei Jahren stark an Relevanz gewonnen und dadurch neue Technologien beschleunigt.

Revolutionärer Transport

FTS gehören zu den sogenannten Unstetigförderern – das sind innerbetriebliche Transportsysteme, die zum Beispiel Schütt- oder Stückgut transportieren. Sie kommen nur in Intervallen zum Einsatz, also wenn Transportgüter zu befördern sind und können zwischen verschiedenen Orten flexibel eingesetzt werden. »Die einzelnen Fahrzeuge eines FTS werden unter anderem durch neue Sensoren immer leistungsfähiger und können auch in direkter Kollaboration mit Personen eingesetzt werden. Dadurch ist es zukünftig möglich, diese Fahrzeuge in Form von mobilen Robotern in öffentlichen Gebäuden zur Auskunft, zur Bodenreinigung oder zur Unterstützung in Kliniken und Pflegeeinrichtungen einzusetzen«, ergänzt Prof. Robert Schulz, Institutsleiter für Fördertechnik und Logistik an der Universität Stuttgart.

Ein Beispiel aus der Praxis: Der autonome Transportroboter »Odyn« zeigt, was aktuell auf dem Markt möglich ist. Auf der »LogiMAT2022« präsentierte das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) die hochdynamische Maschine. »Odyn« (der Name steht für omnidirektional, Outdoor und Open Source) unterscheidet sich dabei maßgeblich von den meisten fahrerlosen Transportsystemen, da er eine hohe Leistungsfähigkeit aufweist, dynamisch und flexibel agiert und für den hybriden Betrieb ausgelegt ist. Das heißt, er kann sowohl im Innen- als auch Außenbereich eingesetzt werden. »Mit Odyn sind wir dem Ziel, das vielzitierte Datengold zu heben und die richtigen Algorithmen an den Start zu bringen, wieder ein Stückchen nähergekommen«, ergänzt Prof. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML und Inhaber des Lehrstuhls für Förder- und Lagerwesen an der Technischen Universität Dortmund. Auch in der Automobilbranche finden FTS ihren Nutzen. Der Automobilhersteller Lotus Cars setzt in seinem Werk in Hethel, England, auf die innovative Technologie. Damit beauftragt hat Lotus Cars den Maschinen- und Anlagenbauer Dürr AG. Das Werk in Hethel ist nun mit über 34 mittelgroßen fahrerlosen Transportfahrzeugen ausgestattet und die FTF transportieren dort nun die Autos im Stop-and-go-Verfahren durch die ganze Montagehalle. An den einzelnen Arbeitsstationen halten sie genau so lange an, wie für die Durchführung der dortigen Arbeit vorhergesehen ist. Das mögliche Einsatzgebiet von fahrerlosen Transportsystemen bzw. Transportfahrzeugen ist damit allerdings noch lange nicht ausgeschöpft. Auch im Personenverkehr wird die autonome Technologie getestet. Die sogenannten Peoplemover können bereits an z. B. Flughäfen Menschen über eine kurze Strecke schienengebunden und automatisch transportieren. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) veröffentlichte Ende August eine Infobroschüre zur Inverkehrbringung von Geräten und Systemen gemäß der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Diese soll die richtige Kennzeichnung von FTS und FTF aufzeigen und Herstellern, Händlern und weiteren Einführern von FTS und FTF einen Entscheidungsweg vorzeigen. Die Broschüre zeigt anhand zweier Beispiele die gängigen Verfahren des Inverkehrbringens: »Das ist wichtig, weil sich beispielsweise durch sogenannte Plug-and-Play-Lösungen Zuständigkeiten verändern können. Gleiches gilt auch, wenn nachträglich Fahrzeuge ergänzt werden. All das kann sich auf die Kennzeichnungspflicht auswirken, was wir in der Broschüre ausführlich darstellen«, erklärt Andreas Scherb aus der Fachabteilung Fahrerlose Transportsysteme im VDMA-Fachverband Fördertechnik und Intralogistik.

Theorien umsetzen

Der Weg ist geebnet und das Netz der fahrerlosen Transportsysteme breitet sich weiter aus. Aber wer kümmert sich um die Entwicklung und was braucht es, um in der Branche Fuß zu fassen? Die Karrieremöglichkeiten sind im Bereich der FTS vielfältig. Die Arbeit ist sowohl in Teams in größeren Konzernen als auch im Büro in mittelständigen bis kleinen Unternehmen möglich. Die Aufgaben liegen dabei von der Planung über die Optimierung bis zur eigentlichen Realisierung der Technologien. Konzeptentwicklungen oder die Betreuung der Konzeptumsetzung gehören ebenfalls dazu. Laut Prof. Schulz seien die Aufgaben rund um die Fahrerlosen Transportsysteme sehr vielfältig. »Dies beginnt bei betriebswirtschaftlichen und prozessualen, logistischen Fragestellungen, bei denen beispielsweise Materialflusssimulationen durchgeführt werden, und reicht über die Softwareentwicklung der Leitsteuerung, die Konstruktion der Fahrzeuge bis hin zur Regelung der einzelnen Antriebe«, ergänzt Schulz. Dementsprechend vielfältig seien auch die Fähigkeiten, die Absolvierende mitbringen sollten. Ein versierter Umgang mit gängigen EDV-Tools ist auch hier von Vorteil, ebenso wie dem Interesse an der wirtschaftlichen und technischen Umsetzung von fahrerlosen Transportsystemen. Zudem sollte Team- bzw. Kommunikationsfähigkeit vorhanden sein, da die Projekte oft mit branchenübergreifenden Kollegen und Kolleginnen umgesetzt werden.

Wohin führt der autonome Weg?

Die fahrerlosen Transportsysteme der Zukunft werden weiterhin an Autonomie gewinnen, durch vielfältige technische Neuerungen wächst der Anwendungsbereich stetig. So werden FTS und FTF künftig auch immer wichtiger für Branchen, in denen sie bisher eher untergeordnete Rollen gespielt haben wie zum Beispiel im Einzelhandel. Laut einem Marktbericht der »Report Ocean Private Limited« wird der Markt für fahrerlose Transportsysteme im Zeitraum 2019 bis 2025 ein deutliches Wachstum aufweisen. Die Modernisierung und Globalisierung führt dabei branchenübergreifend zu immer mehr Nutzung von FTS. Die intelligente Vernetzung der Fahrzeuge können somit den gesamten logistischen Prozess optimieren. Da aber nicht jedes FTS für jedes Unternehmen bzw. für jeden Bereich geeignet ist, bedarf es Spezialisten, die das bestimmen. Auch Professor Schulz sieht einen deutlichen Bedarf an Fachkräften in der Branche und vermutet, dass durch die technischen Fortschritte und das immer breitere Einsatzspektrum dies auch in den nächsten Jahren so bleiben wird.


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