Herr Krüss, warum steht gerade das Jahr 2030 so für gesellscha!lichen und technischen Wandel?
Wir müssen bis 2030 Antworten auf die wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit finden. Hier spielen zum einen die immer sichtbarer werdenden Auswirkungen des Klimawandels und der damit steigende öffentliche Handlungsdruck eine große Rolle. Wenn wir uns gesellschaftlich darauf verständigen, bis 2045 klimaneutral zu sein, dann müssen wir bis spätestens 2030 die Rahmenbedingungen für die notwendigen technologischen Entwicklungen und deren Anwendung geschaffen haben. Darüber hinaus wird uns auch der demografische Wandel beschäftigen. Wir haben bereits 2015 in einer Szenarioanalyse festgestellt, dass bis 2029 knapp 700.000 Ingenieurinnen und Ingenieure in den Ruhestand gehen und wir Probleme bei der Nachbesetzung haben werden. Last but not least hat uns die Corona-Pandemie gezeigt, wie sehr wir die digitale Transformation vorantreiben müssen. Digitalisierte und vernetzte Produktionsund Dienstleistungsprozesse erleichtern im Idealfall die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und wirtschaften. Bestenfalls liefert die digitale Transformation auch Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels und des demografischen Wandels.
Wo sehen Sie Deutschlands größtes Nachholpotential? Und in welchen Bereichen haben wir die Nase vorn?
Das größte Nachholpotential sehe ich bei den Themen KI und Digitale Transformation – explizit heißt das: Ausprobieren, disruptives Denken zulassen, Inter- und Transdisziplinarität in Ausbildung, Entwicklung und Umsetzung ermöglichen. Mehr und einfachere Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Nase vorn hat Deutschland nach wie vor in der Breite und Tiefe der Ingenieurausbildung sowie in der klimaeffizienten Weiterentwicklung von Prozess- und Fertigungsindustrie.
Wie wird sich mit Blick auf Deutschland 2030 der Fachkrä!emangel und die Nachfrage nach Ingenieur*innen entwickeln?
Langfristig wird der Bedarf an Ingenieur*innen und Informatiker*innen deutlich steigen. Digitalisierung, Dekarbonisierung und der demografische Wandel führen dazu, dass mehr Fachleute mit diesen Kompetenzen benötigt werden. Unabhängig von Corona stellen wir eine Verschiebung in der Nachfrage bei einzelnen Ingenieurberufen fest: Die Nachfrage nach reinen Maschinenbauingenieur*innen pendelt sich auf einem niedrigen Niveau ein. Ingenieurberufe, die einen hohen Beitrag zur digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft leisten – Informatiker*innen, Elektrotechnikingenieur*innen – sind weiterhin überdurchschnittlich gefragt. Auch die Nachfrage nach Bauingenieur*innen und Architekt*innen ist weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Hier spielt der hohe Investitionsstau der öffentlichen Hand – Verkehrsinfrastruktur, Infrastrukturmaßnahmen auf kommunaler Ebene, usw. – sowie das weiterhin niedrige Zinsniveau eine wichtige Rolle.