Anfang der Siebzigerjahre flimmerte über die deutschen Fernsehbildschirme eine vom ZDF produzierte Doku mit dem schmissigen Titel »Richtung 2000 – Vorschau auf die Welt von morgen«. Darin wird die Geschichte von Herrn B. erzählt, einem junggebliebenen Herren mit stylischer Brille, der in seiner futuristischen Wohnung alle Vorteile der utopischen Zukunft auslebt, die man sich 1972 nur vorstellen konnte. Der Dokumentarfilm steht seit mehr als zehn Jahren auf YouTube und hat über eine Millionen Aufrufe angesammelt. Keine Frage: Es ist faszinierend, sich eine Zukunftsvision anzuschauen, die für uns schon längst Vergangenheit ist. Und auch wenn es bis zum Jahr 2000 nicht gelungen ist, all die Wunderdinge umzusetzen, wirft man noch einmal 20 Jahre später doch einen schmunzelnden Blick auf diese Bilder, in denen von selbstfahrenden Autos über Videotelefonie, bis zur smarten Homeassistentin mit angenehmer Stimme, langfristig alles korrekt vorhergesagt wird, wenn auch ohne riesig-blinkende Steuer-Konsolen.
Was aber, wenn wir heute einfach noch einmal einen solchen Herrn B. – oder auch eine Frau B. – erfinden und sie in eine Zukunft setzen, die für uns fast so futuristisch daherkommt wie damals das Milleniumjahr? 2030 ist zwar nur noch knapp acht Jahre entfernt – und dennoch für viele ein Symbol der Zukunftsgewandtheit und des großen Umbruchs. Spätestens dann sollen zwei große Strömungen unserer Zeit endgültig zusammenlaufen und die »Welt von morgen« beginnen lassen: Die digitale Revolution, die seit Beginn des Jahrtausends scheinbar immer schneller voranschreitet und der Klimawandel, dem mit 2030 ein Limit gesetzt wurde, bis zu dem mehrere Ziele der Bundesregierung umgesetzt sein sollen – unter anderem eine Einsparung der Emissionen um 65 Prozent. Fest steht: beides wird unser aller Leben maßgeblich beeinflussen, dank der Innovationen, welche die nahe Zukunft mit sich bringen wird. Doch wo sollen die konkret herkommen? Was muss sich für die Erreichung der Klimaziele in der Energiegewinnung tun und womit werden demnächst umweltfreundliche Fahrzeuge betankt? Wie digital wird die Industrie werden und wie soll das eigentlich alles gehen, wenn der Glasfaserausbau weiter so stockend verläuft wie bisher? Tausend Fragezeichen zu deren Beantwortung immer eine Berufsgruppe gehört: das Ingenieurwesen. Es macht ganz den Eindruck, als seien zum Start ins Arbeitsjahr 2022 alle Augen auf junge Ingenieur*innen gerichtet – die Komponist*innen der Zukunft.
Gehen wir mal davon aus, dass sich unsere Frau B. nach dem Abitur für ein Studium der Ingenieurwissenschaften entschieden hat und im Jahr 2030 mitten im Berufsleben steht. Fest steht, dass sie dabei mit einem Konzept in Berührung kommt, das schon zur Zeit ihres Studiums in aller Munde war: der Industrie 4.0.
Expert*innen aller Fachrichtungen des Ingenieurwesens sehen seit Beginn der digitalen Revolution eine Dringlichkeit, in der Anpassung der Unternehmen nach den Bedürfnissen der Zukunft. Dazu gehören mehr Automatisierung und die Nutzung des Internet of Things (IOT) genauso wie die Digitalisierung von Datensätzen und der Kommunikation zu anderen Unternehmen. Es wird für die Zukunft unausweichlich sein, dass sich sämtliche industrielle Firmen auf einem ähnlichen digitalen Niveau begegnen. Ob das alle bis zum Jahr 2030 schaffen, ist dabei anzuzweifeln.
Denn es wird einen Unterschied machen, ob Frau B. in einem Großbetrieb arbeitet oder in einem Klein- bzw. mittelständigen Unternehmen (KMU) tätig ist. Das geht aus einem aktuellen Positionspapier der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) hervor, worin die »Kompetenzen der Industrie 4.0« dargelegt werden. Die Forscher*innen zeigen hier durch Umfragen, mit welchen Erwartungen und Einstellungen verschiedengroße Unternehmensformen die Entwicklung zur Industrie 4.0 angehen und wo Kompetenzen gesetzt werden. Einerseits stehen KMU der Digitialisierung eher skeptischer gegenüber und äußern laut acatech-Umfrage nur zu 57,4 Prozent die Absicht, verschiedene Firmenbereiche in Richtung Industrie 4.0 zu lenken – gegenüber rund 78 Prozent der Großunternehmen. Es besteht die Gefahr einer Kluft, die bis zum Jahr 2030 unaufhaltsam größer werden könnte. Damit das nicht passiert, schlägt acatech eine systematische Aufklärung über die Vorteile von Digitalisierung und Automation vor – und zwar von der Chefetage bis zu den Mitarbeiter*innen in der Werkhalle. Angesprochen sind dabei sowohl die Unternehmen selbst als auch Politik und Bildungsanbieter, die für die Grundlage der Entwicklung sorgen. Das Ziel der Universitäten soll es sein, durch die Vermittlung von zukunftsweisenden Inhalten die neue Generation von Ingenieur*innen auszubilden, die ihr Know-how in die Firmen bringen.
Doch keine Sorge: Auch wenn du nach dem Studium noch nicht in einem top-automatisierten Unternehmen starten kannst, ist das kein Grund für Trübsal. Tatsächlich liegt es gerade an dieser jungen Generation, aus der Not eine Tugend zu machen und aktiv am sinnvollen Umbau zur Industrie 4.0 mitzuarbeiten – beispielsweise in der Roboter-Entwicklung.
Egal ob als Montierarme, Hebehilfen oder Lagerraumassistenten: Die Robotik wird bald in den verschiedensten Bereichen eingesetzt werden und jungen Ingenieur*innen müssen für individuelle Bedürfnisse entwickeln. Ein Beispiel dafür ist Jana Jost. Sie arbeitet am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und leitet dort die Abteilung »Robotik und Kognitive Systeme « – ebenfalls ein weites Feld, das viele Erleichterungen für Unternehmen verspricht und spannende Perspektiven in der Entwicklung ermöglicht. »Hier liefern die Robotik und die Logistik einen bunten Blumenstrauß«, so Jost, »angefangen von der Bildverarbeitung sowohl mittels klassischer Ansätze als auch mittels KI, über Steuerungs- und Regelungskonzepte bis hin zu ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten bei der Mensch-Roboter-Kollaboration. « Ein vielseitiger Bereich zur Verwirklichung also, der für viele Firmen in Zukunft relevant wird, auch wenn es gegenwärtig noch einige Herausforderungen gibt, die bewältigt werden wollen. Nach Jana Jost könnten vor allem die Vielzahl an verschiedenen heterogenen Systemen einige Stolpersteine darstellen. »Diverse mobile Roboter von unterschiedlichen Herstellern müssen Informationen für einen reibungslosen Betrieb miteinander austauschen. Standardisierungsansätze wie die VDMA 5050 Schnittstelle können hier Abhilfe schaffen. Ebenfalls stellt die Interaktion mit dem Menschen eine Herausforderung dar. Zum einen müssen die Taktzeiten eingehalten werden, zum anderen muss der Roboter sein Verhalten nach den Bedürfnissen des Mitarbeitenden richten.« Wer gerne an der Vereinfachung der Arbeitswelt tüfteln möchte, sollte über eine Karriere in der Robotik nachdenken. Außerdem ist hier richtig, wer gut in interdisziplinären Teams klarkommt, denn neben der Arbeit mit ITler*innen wird zum Beispiel auch der Kontakt zu Soziolog*innen eine immer wichtigere Rolle spielen, um eine kluge Roboter-Mensch-Kollaboration zu ermöglichen. Auch sonst ist damit zu rechnen, dass sich die Arbeit in der Robotik in den nächsten Jahren noch rasant wandeln wird. Am Fraunhofer IML ist man sich sicher, dass jungen zukunftsorientierten Ingenieur*innen alle Türen offen stehen. »Die Robotik wird sich stetig weiterentwickeln und ist sehr interdisziplinär aufgestellt. So werden weiterhin Themen wie KI oder 5G die Robotik beschäftigen «, meint die Abteilungsleiterin Jost. »Der Mensch wird auch nach der Pandemie durch seine individuellen Fähigkeiten essentiell für die Fabrik und Logistik der Zukunft sein. Doch nicht nur die Interaktion mit Robotern führt zu neuen Fragestellungen, auch rechtliche Aspekte wie die maschinelle Verantwortung müssen betrachtet werden. Dabei gilt es über den Tellerrand zu schauen.« Natürlich stellt sich für Beginner*innen auf dem Arbeitsmarkt in jedem Fall die Frage: Lieber in einem bereits modernisierten und automatisierten Großunternehmen arbeiten oder doch ein Klein- bzw. mittelständiges Unternehmen vorziehen? Vielleicht scheint die Wahl eines großen modernen Konzerns zunächst attraktiver – Die Arbeit in einem KMU schafft jedoch die Möglichkeit, aktiv an der Umgestaltung zur Industrie 4.0 mitzuarbeiten und dabei eigene Ideen einzubringen. Das heißt, sofern die technischen Grundlagen dort natürlich erfüllt sind. Denn hier besteht immer wieder Konfliktpotential und auch Frau B. – um zu unserem Beispiel zurückzukehren – steht nach ihrem Ingenieurstudium vor der Wahl: Arbeiten in einem bekannten Konzern in der Großstadt oder doch lieber in die kleine Heimatregion zurückkehren, um dort in einem mittelständischen Betrieb anzufangen. Bei dieser Überlegung stellen sich für Frau B. natürlich die Fragen: Hat die kleine Firma eigentlich die nötigen technischen Vorraussetzungen? Gab es da nicht vor ein paar Jahren noch Schwierigkeiten mit der ausreichenden Internetverbindung und dem Ausbau von Glasfaser?
Auch hier tut sich im wahrsten Sinne des Wortes immer noch eine Baustelle auf, denn 2021 steht es um den flächendeckenden Ausbau von schnellem Internet noch längst nicht so, wie es für die Vision einer Industrie 4.0 im Jahr 2030 ausreichen könnte. Zwar hat das Verkehrsministerum einen flächendeckenden Breitbandausbau bis 2025 versprochen, derzeit sieht es aber nicht danach aus, dass dieses Ziel erfüllt werden kann. Vor allem der ländliche Raum und die östlichen Gebiete der Republik sind oft noch glasfaserfrei. Dass sich hier schnellstens etwas ändern muss, meint auch der Verband deutscher Elektroingenieure (VDE). Dieser drängt vor allem auf eine Vereinheitlichung des Ausbaus in allen Bereichen, um so Planlosigkeit und langen Entwicklungsphasen vorzubeugen. Zudem ist der Glasfaserausbau wie so viele technische Bereiche stark vom Fachkräftemangel betroffen. Nicht nur fehlen Bauarbeiter*innen, die uns das schnelle Internet nach Hause bringen, sondern auch in der Entwicklung, Bauleitung oder bei Genehmigungsbehörden werden dringend fähige Ingenieur*innen gebraucht. Willst du in dieser Branche starten, ist ein Schwerpunkt in der Elektrotechnik oder dem Bauingenieurwesen auf jeden Fall notwendig. Manchmal Voraussetzung, aber immer ein dicker Pluspunkt sind erste Erfahrungen in der Planung des Internetausbaus – zum Beispiel durch Praktika. Hier kannst du dir sicher sein, dass du in eine zukunftssichere Branche eintrittst, die mit entsprechender Erfahrung rasche Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Allerdings sei noch einmal daran erinnert: Der Glasfaserausbau verläuft gegenwärtig noch recht stolpernd. Talente mit Frustrationstoleranz und Durchsetzungsvermögen sind hier also gefragt. Ebenfalls hilfreich: Soziale Kompetenz, denn der Schwerpunkt beim Glasfaserausbau verlagert sich immer mehr zu den Hausanschlüssen. Dort muss auch mal mit den Hauseigentümern verhandelt werden, wie das Internet durch den Vorgarten gelegt werden soll. Auch Kreativität und Improvisationsbereitschaft sind sicher nicht schlecht, wenn du auch für Industrie 4.0 im kleinen Dorf sorgen willst.
Falls alles gut läuft, profitiert sogar die kleine Firma in der Heimatregion von Frau B. bald vom schnellen Internet und schafft die Grundlage für eine moderne Industrie, in der sich die junge Ingenieurin entfalten kann. Und so macht sich Frau B. jeden Morgen gerne auf den Weg zur Arbeit, um dort immer neue Innovationen zu entwickeln. Doch wie wird dieser Arbeitsweg aussehen? Sitzt Frau B. schon in einem vollautonomen Fahrzeug? Mit welchem Kraftstoff bewegt es sich vom Fleck? Hat die klassische Batterie immer noch die Vorreiterrolle oder sind wir schon mit Wasserstoff mobil?
Natürlich ist die Sache mit den Antrieben der Zukunft mal wieder nicht so ganz eindeutig zu beantworten. Es gibt mittlerweile verschiedenste Modelle, die den klassischen Verbrennungsmotor ersetzen können – gefühlt wird deren Anzahl immer größer. Was aber recht klar ist: Im Jahr 2030 wird der Verbrenner nicht mit einem Mal komplett verschwunden sein. Mehrere Expert*innen sehen einige Gründe und Vorteile, warum der Antrieb mit Benzin und Diesel auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen und weiter Teil von Forschung und Entwicklung sein sollte. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Elektrizitätsgewinnung. So lange die zu geringsten Teilen aus erneuerbaren Energien besteht und kein ausreichendes Netz ausgebaut ist, halten viele Verteidiger des Verbrenners die Nutzung von Elektroautos für weit weniger nachhaltig, als es den Anschein macht. So gibt es einen nicht unerheblichen Teil der Forschung, der sich damit befasst, klimaneutraleres Benzin zu entwickeln. Prof. Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie, ist sich sicher, dass 2030 eine flächendeckende Nutzung des R33-Krafstoffes möglich ist, der den CO2-Ausstoß um rund 25 Prozent reduzieren soll. Auch der Verein Deutscher Ingenieure hält einen mittelfristigen Einsatz des Verbrennungsmotors in Form von Hybridfahrzeugen für realistisch, um »Fahrerinnen und Fahrer sanft an die Elektrifizierung heranzuführen «, so Peter Kellerhoff vom VDI.
Es zeigt sich also: Wer als Ingenieur*in in der Automobilbranche der Zukunft wirken will, wird sich fürs Erste nicht komplett von der Arbeit mit dem Verbrennungsmotor verabschieden müssen. Dennoch ist sich auch der VDI sicher, dass langfristig gesehen andere Antriebe die Straße beherrschen werden. In einer internen Umfrage des Vereins aus dem Frühjahr 2021 sehen nur knapp 25 Prozent der Mitglieder ein Zukunftspotential für den Verbrenner mit fossilen Kraftstoffen. Für 67,1 Prozent ist die Batterie der Antrieb der Zukunft. Getoppt wird diese Zahl lediglich von der Brennstoffzelle. Hier sehen ganze 84 Prozent der VDI-Mitglieder ein großes Potential für einen alltäglichen Einsatz.
Der Wettkampf Batterie vs. Wasserstoff-/Brennstoffzelle scheint gegenwärtig noch auf einen wahrscheinlichen Sieg des Batterieantriebes hinauszulaufen. So ist die Betankung mit Strom derzeit um einiges günstiger und auch die Wasserstoff-Zapfsäulen sind noch knapp. In ganz Deutschland sind Mitte 2021 gerade einmal 91 Tankstellen eröffnet. Klar: Warum sollte man sich derzeit ein Auto kaufen, wenn man es nirgends betanken kann? Und warum sollte man eine Zapfsäule aufstellen, wenn keiner mit einem entsprechenden Auto vorfährt. Dieser Konflikt könnte jedoch bald schon gelöst werden. So hält es eine Studie des VDE zur »Logistik, Energie und Mobilität 2030« für realistisch, dass sich die Zahl der Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland in zehn Jahren auf 1000 ausweiten könnte. In der Brennstoffzelle wird ziemlich großes Potential gesehen und das nicht nur für PKW. Auch Züge, Lastwagen und Flugzeuge sollen auf lange Sicht so angetrieben werden. Noch sind dies allerdings Luftschlösser. Ihre Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen. Dementsprechend vielversprechend sieht der Arbeitsmarkt für die nächsten Jahre aus. Die »Hydrogen Roadmap Europe« geht davon aus, dass 2030 insgesamt über eine Millionen Jobs in der Wasserstoffbranche geschaffen sein werden – der Großteil in Anlagen zur Produktion von Wasserstoff und der strukturellen Planung der Verteilsysteme. Doch auch die Entwicklung von Brennstoffzellen wird von den Forscher*innen mitgezählt. Für kreative und erfinderische Ingenieur*innen, die Interesse an alternativen Fahrzeugantrieben haben, ist es darum eine Überlegung wert, frühzeitig in die neu aufblühende Branche einzutreten. Umso rosiger wird die berufliche Zukunft aussehen, wenn der Wasserstoff tatsächlich bald die Autos der Welt zum Rollen bringt.
Während Frau B. im Jahr 2030 in einem vielleicht schon Wasserstoffbetriebenen Carsharing-Wagen zur Arbeit fährt – ein eigenes Auto haben nur noch die wenigsten jungen Leute – lässt sie ihren Blick aus dem Fenster schweifen und betrachtet die Bauarbeiten an der Bahntrasse. Auch im Zugnetz ist der Ausbau mittlerweile weit fortgeschritten. Schon ist der Wagen von Frau B. an den Baggern, Fräsen und Kippern vorbeigefahren, da kommt ihr der Gedanke: Was hat sich dort eigentlich getan? Werden Baufahrzeuge wie diese immer noch mit Benzin betankt oder steht auch die Baustelle schon unter Strom?
Es ist nicht zu leugnen, dass in der aktuellen Diskussion über Elektromobilität das Augenmerk meistens auf dem PKW liegt. Doch auch der Off-Highway-Bereich trägt derzeit erheblich zum gesamten CO2- Ausstoß bei und muss auf der Agenda für eine klimaneutrale Zukunft stehen. Klar, dass auch diese Transformation fähige Ingenieur*innen braucht, um sie voranzutreiben. Und tatsächlich gibt es in der Off- Highway-Entwicklung bedeutende Unterschiede zum Personenkraftwagen. Dort »wird die Entwicklung sicherlich weniger einseitig aussehen als das Bild, welches sich zur Zeit im PKW-Segment abzeichnet«, meint Peter Müller-Baum, Geschäftsführer Motoren und Systeme beim Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). »Zwar spielt auch hier die Elektrifizierung und Hybridisierung des Antriebsstranges eine Rolle, aber aufgrund der enormen Bandbreite unterschiedlichster Anwendungsfälle – von handgeführten Kleinmaschinen bis hin zu Muldenkippern für den Einsatz in Minen – müssen die Anbieter deutlich mehr diversifizieren.« Bis 2030 hält der Experte einen gemischten Einsatz von Verbrennungsmotoren und E-Fuels, sowie Elektro- oder auch Wasserstoffantrieben für möglich. Der Grund, warum im Off-Highway-Bereich nicht nur auf Batterieelektrik gesetzt werden kann, liegt dabei auf der Hand: »Einen Minibagger etwa im innerstädtischen Bereich kann man sich sehr wohl elektrifiziert vorstellen, notfalls auch direkt per Kabel. Aber nehmen Sie das Pendant auf einer Autobahngroßbaustelle oder noch eindrücklicher, einen Mähdrescher zur Haupterntezeit: Diese Maschinen mit einer Antriebsleistung von gerne 300 kW und mehr müssen in einem sehr engen Zeitfenster quasi im Dauerbetrieb und häufig über mehrere Schichten hinweg ihre Arbeit verrichten. Außer chemischen Energieträgern ist heute keine kommerziell einsetzbare Technologie bekannt, die die dafür benötigte Energiemenge bereitstellen könnte.« Doch kommt es bei der Frage nach dem intelligentesten Antrieb auch massiv auf die jeweiligen Gegebenheiten des Einsatzortes an. Die sehr empfindliche Brennstoffzelle ist für einen staubigen Einsatz im Mähdrescher beispielsweise ungeeignet. Fazit: Das Innovationsfeld des Off-Highway-Bereichs bietet einen durchaus abwechslungsreichen Arbeitsmarkt. Und auch in dieser Branche macht sich die Arbeitskräftelücke bemerkbar. »Zudem steigt der demografische Ersatzbedarf stark an. Im Bereich der MINT-Akademikerinnen und -Akademiker werden bis 2023 jährlich 62.000 Personen aus Altersgründen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden«, so Müller-Baum. Viele Erfolgsaussichten also für aufstrebende Ingenieur*innen. Gerade Maschinen- und Anlagenbauer*innen finden hier ihre aussichtsreichste Zukunftsperspektive und auch Freund*innen der Elektrotechnik, die auch für interdisziplinäres, komplexes Arbeiten und Abwechslungsreichtum brennen, sind hier richtig.
Doch egal wieviele Baugeräte 2030 noch mit Diesel betankt werden, Strom wird eine genauso wichtige Rolle spielen wie schon heute – wahrscheinlich sogar eine noch viel größere. Das weiß auch Frau B., die sowohl in ihrer Firma einen immer höheren Bedarf an Strom ausmachen kann – zum Beispiel durch das Wachstum an stets hungrigen Robo-Mitarbeitern – aber auch bei sich zu Hause, das mittlerweile mit einer Vielzahl an smarten Geräten ausgestattet ist, die alle eines brauchen: Energie – und zwar möglichst grüne!
Bis zum Jahr 2050 sollen mindestens 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen, was bisher ein ziemlich optimistisches Ziel ist, aber gerade darum auch anzunehmende Herausforderungen in der Entwicklung für Ingenieur*innen verspricht. Bereits seit dem Atomausstieg Deutschlands im Jahr 2011 hat sich ein großer Bedarf für den Ausbau erneuerbarer Energien ergeben.
Schon damals war der Ruf nach gut ausgebildeten und zukunftsorientierten Ingenieur*innen laut. Seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 hat sich die Nachfrage nach Expert*innen für Solar-, Wasser- und Windenergie noch einmal verstärkt. Wer für einen intelligenten Energieausbau gebraucht wird, verrät Sebastian Kosslers – Normungsmanager im Bereich Energy beim Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE): »Kaum überraschend werden sicher Ingenieur*innen in allen Bereichen der Elektrotechnik und angrenzender Bereiche gesucht. Durch die steigende Anzahl der »Player«, wie EV (Electronic Vehicles), PV (Photovoltaik), Windkraft etc. bietet sich ein riesiges Betätigungsfeld für die Datenmodellierung aber auch die Umsetzung in der Praxis.« Dabei ist auch hier klar, dass bei der Entwicklung moderner Energiegewinnung in jedem Falle die Digitalisierung eine große Rolle spielen wird: »Digitale Datenmodelle und Konzepte gibt es mittlerweile für Anwendungen von der PV-Anlage, über EV bis hin zu Vertragsverhandlungen und -abschlüssen«, meint Kosslers, »das Zusammenspiel der Systeme bietet zahlreiche Möglichkeiten. Ein weiterer Trend ist die praktische Umsetzung von Blockchain Technologie im Bereich Energieverteilung und -management, die momentan von Expert*innen in Anwendungsfällen (Use Cases) erprobt wird.« Eine besondere Herausforderung der Energiewende wird dabei der hohe Bedarf durch das immense Wachstum an E-Autos sein. Die Integration von Elektromobilität in Kombination mit erneuerbaren Energien sind daher zwei Kurven, die parallel nach oben laufen müssen. Außerdem »wird die Integration erneuerbarer Energien inklusive Power-to-X (P2X) wie Power-to-Gas, Power-to-Heat etc. vorangetrieben. Die systemübergreifende Integration, z. B. zwischen EV-System und Energie-Netzen, ist dabei eine der spannendsten Herausforderungen «, so der VDE-Experte. Als Tipp für angehende Ingenieur*innen, die sich diesen wichtigen Aufgaben stellen wollen, rät Sebastian Kosslers: »Kommunikation ist alles – der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ist besonders in der systemübergreifenden Smart Energy Welt ein wichtiger Schlüssel. Dabei nutzen Ingenieur*innen clever eine Mischung aus persönlichem Kontakt und moderner IT. Webmeetings und Co. ergänzen und unterstützen das Ingenieur*innen-Team der Zukunft, das sich persönlich kennt und weiß, wie jeder 'tickt'.«
Durch die Bemühungen vieler engagierter Ingenieur*innen zu Beginn der Zwanziger Jahre ist auch der Strom, den Frau B. im Jahr 2030 nutzt, ein gutes Stück grüner und ökonomischer geworden. So kann sie sich nach der Arbeit in ihrem smarten Zuhause allen Freuden des modernen Lebens widmen. Der Staubsauger-Roboter hat in ihrer Abwesenheit alles sauber gehalten; durch einen kurzen Sprachbefehl wird die Heizung im Badezimmer angenehm warm, während Frau B. ihr Abendessen kocht. Lieferdienste wurden zwar in den letzten Jahren immer beliebter, doch Frau B. mag es immer noch lieber, durch die Zubereitung von Essen am Tagesende zur Ruhe zu kommen. Doch auch hier hält sie einen kurzen Moment inne und denkt darüber nach, dass bei den Zutaten auf ihrer Arbeitsplatte ebenfalls das Ingenieurwesen in der nahen Vergangenheit einen nicht zu unterschätzenden Einfluss hatte.
Neben Elektro-, Bau- oder Maschineningenieurwesen stehen Lebensmittelingenieur*innen meist an etwas schattiger Position. Nichtsdestotrotz ergibt sich auch hier ein Arbeitsmarkt, der Zukunft verspricht: Schon 2021 lässt sich feststellen, dass die Anforderungen an Ernährung immer vielseitiger werden. Immer mehr Menschen ziehen vegane oder glutenfreie Produkte vor. Auch die Zahl an Nahrungsmittelunverträglichkeiten wird größer. Lebensmittelingenieur*innen haben das Ziel, neue Ansprüche und Trends zu erkennen und Lebensmittel daran anzupassen. Dabei geht es zum Beispiel um Fragen wie: Wodurch lässt sich Laktose oder Gluten ersetzen, damit der Geschmack und die Struktur des Produktes dennoch unverändert bleibt? Dazu ist man einerseits im Labor tätig, führt aber auch Marktanalysen durch, um auf den Geschmack der Verbraucher*innen zu kommen. Genau darin liegt auch die größte Herausforderung im Lebensmittelingenieurwesen: Die Ansprüche an die zu entwickelnden Produkte sind groß und verlangen viel Einfallsreichtum und auch Improvisationsfähigkeit. Als Vorbildung ist ein Studium im technischen, chemischen und/oder biologischen Bereich Vorraussetzung, es gibt allerdings auch schon einige Hochschulen, die den konkreten Studiengang Lebensmitteltechnologie anbieten. Als Zukunftsperspektive offenbaren sich führende Positionen in der Lebensmittelindustrie, der Produktentwicklung, aber auch in Verbraucherzentralen.
Ein langer Tag geht für Frau B. im Jahr 2030 zu Ende – in einer Zukunft, die gar nicht so fern ist, gar nicht so anders scheint und doch werden wir in gut acht Jahren ein ganzes Stück weit anders leben. Wir werden in modernisierten, automatisierten Unternehmen arbeiten, uns vermehrt mit alternativen Kraftstoffen fortbewegen und auch der Strom kommt aus anderen Quellen zu uns nach Hause als es jetzt noch der Fall ist. Auf der anderen Seite darf man nicht von einer kompletten Utopie ausgehen: Auch 2030 kann noch Diesel getankt und Braunkohle abgebaut werden, genauso wie im kleinen Provinzunternehmen immer noch oft das Internet ausfallen wird.
Es liegt an deutschen Ingenieur*innen, diesen Herausforderungen der nächsten Jahre entgegenzutreten und dabei zu helfen, die Grundlagen für die technische Zukunft zu erschaffen. Perspektiven gibt es genug. Doch auf welche Weise kann man sich jetzt am besten aufstellen, um 2030 als Ingenieur*in der Zukunft durchzustarten? Das weiß Professor Fabian Brunner von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg- Weiden. Dort leitet er den Studiengang »Industrie 4.0«, wo den Studierenden sowohl informatisches wie technisches Wissen vermittelt wird. Denn eines ist vollkommen unausweichlich: Ingenieur*innen der Zukunft werden um Grundwissen in der Informatik nicht mehr herumkommen. Wichtig für das Arbeiten in der Industrie 4.0 ist für Fabian Brunner: »Neben der Vermittlung fundierter fachlicher Grundlagen in der jeweiligen Ingenieurdisziplin gewinnen algorithmische und technolo- gische Fragestellungen, die die Erfassung, Verarbeitung und Analyse von Daten betreffen, an Bedeutung. Der Anteil an Fächern mit Informatik-Bezug in der Ausbildung nimmt also tendenziell zu. Jede*r angehende Ingenieur*in sollte über solide Programmierkenntnisse verfügen.« Trotz dieser scheinbar immer enger werdenden Annäherung sollte man aber keine Angst vor einer kompletten Verschmelzung von Ingenieurwesen und Informatik oder einer Überflüssigkeit praktischer Techniker haben. »Es ist zwar zu beobachten, dass die Grenzen zwischen den Berufsfeldern weniger klar verlaufen und neue Jobs an der Schnittstelle zwischen Informatik und Ingenieurwissenschaften entstehen«, so der Dozent, »eine vollständige Verschmelzung der Berufsbilder ist jedoch nicht absehbar. Wenngleich Ingenieur*innen und Informatiker*innen im Bereich Industrie 4.0 eng zusammenarbeiten, nehmen sie auch Aufgaben wahr, für die vertiefte Kenntnisse der jeweiligen Disziplin erforderlich sind. Dies gilt insbesondere für Einsatzgebiete in anderen Branchen jenseits der Industrie 4.0«. Auch die Befürchtung, dass Ingenieur*innen bald nur noch am Schreibtisch sitzen, weil alles Praktische von Robotern erledigt wird, erfüllt sich höchstwahrscheinlich nicht. Ganz im Gegenteil beobachtet Prof. Brunner eine zunehmende Komplexität: »Die Entwicklungs- und Innovationszyklen sind heute kürzer als noch in den vergangenen Jahrzehnten und es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Dies beeinflusst auch das Berufsbild und die Anforderungen an künftige Ingenieur*innen. Wenn Routineaufgaben auf Maschinen übertragen werden, entstehen häufig neue, tendenziell anspruchsvollere Aufgaben für den Menschen. Meine Erwartung ist daher, dass die Tätigkeiten von Ingenieur*innen künftig eher vielfältiger und abwechslungsreicher werden als heute, jedoch wechselnden Herausforderungen und einem rascheren Wandel unterliegen.« Neben den stetig aktuellen technischen Voraussetzungen nennt der Amberger Dozent vor allem Kreativität und Neugierde als wichtige Eigenschaften für die Ingenieur*innen von morgen sowie Empathie und eine gute Kommuniaktionsfähgkeit, denn: Die Herausforderungen der Zukunft können nur von interdisziplinären Teams gelöst werden, die dafür sorgen, dass die Ideen für 2030 und das Leben der Frau B. nicht nur eine »Vorschau auf die Welt von morgen« bleiben.