Egal, ob ein kleines Ventil, ein ganzes Auto oder die Infrastruktur einer Großstadt. All diese Dinge haben eines gemeinsam. Sie können einen Digitalen Zwilling haben, der sämtliche Lebenszyklen des technischen Produktes simulieren und damit bereichern kann. In vielen Unternehmen ist der Digital Twin bisher noch unentdeckt. Doch die entscheidenden Vorteile werden immer ersichtlicher. Was müssen Ingenieure darüber wissen und welche Skills brauchen sie?
Historische Rettung
»Houston, wir haben zum Glück einen Zwilling!« Gut, so ist dieser Satz auf der berühmten »Apollo 13«-Mission nicht gefallen, hätte er aber sehr gut können. Denn dank des Eins-zu-eins-Modells der Raumkapsel, das sich auf der Erde befand, konnte ein Lösungsweg für die Notlage der Astronauten simuliert werden. Im Jahr 1970 war so der erste relevante – wenn auch noch nicht digitale – Zwilling im Einsatz. Seitdem hat sich viel getan. Die Innovationen der »Digital Twin«-Technologie entwickeln sich stetig weiter und haben eine aussichtsreiche Zukunft. Und das in vielfältigen Branchen. Sowohl Elektro- und Bauingenieure, als auch Maschinen- und Anlagenbauer können profitieren.
Mach's Nach!
Fragt man bei Hendrik Haße vom Fraunhofer ISST nach, so definiert er den digitalen Zwilling als »eine ganzheitliche digitale Repräsentation eines Anlageguts über dessen gesamten Lebenszyklus«. Dabei ist dieser Zwilling weit mehr als ein einfaches digitales Modell des realen Pendants. So erfassen viele Sensoren alle Infos z. B. über ein Auto und übertragen sie digital. Mithilfe des Twins werden diese unter verschiedenen Aspekten interpretiert. Auch in der Luft- und Raumfahrt kann der Zwilling ein äußerst hilfreiches Mittel sein. Bei Flugzeugen oder Raumschiffen kann die komplette Lebenszeit simuliert werden – für noch mehr Sicherheit in der Praxis.
Herausforderungen
Der Einsatz von dieser Technologie bietet Unternehmen also eine ganze Menge Vorteile – offene Fragen gibt es trotzdem noch eine Menge: »Unklar sind derzeit noch die wirtschaftlichen Potentiale eines digitalen Zwillings. Daher müssen tragfähige Geschäftsmodelle für digitale Zwillinge entwickelt werden«, erklärt Hendrik van der Valk, Ingenieur an der TU Dortmund. »Zudem steckt viel Entwicklungspotential in den Aspekten der Datensicherheit und des Datenteilens. Der digitale Zwilling kann sein volles Potential erst entfalten, wenn mehrere Partner eines Produktionsnetzwerkes miteinander verknüpft werden und gemeinsam Optimierungen umsetzen.«
Sei dabei!
Die Möglichkeiten des digitalen Zwillings sind – wie schon gezeigt – unfassbar vielfältig, genauso wie die Anzahl der Branchen, in denen er zum Einsatz kommen könnte. Letztendlich bietet sich jede Sparte des Ingenieurwesens an, in denen die Digitalisierung schnell voranschreitet. Für Hendrik van der Valk sind es vor allem die Automobilindustrie, der Logistiksektor und die Healthcare-Branche, die profitieren werden. Hendrik Haße vom Fraunhofer ISST fügt weiter hinzu: »In der Literatur zu digitalen Zwillingen, fällt insbesondere die starke Gewichtung des Maschinen- und Anlagenbaus auf. Es gibt aber auch zahlreiche Beispiele aus der Medizin- oder Gebäudetechnik.«
Was studieren?
Ist die ganze Thematik »Digital Twin« denn nicht eher ein Nice-to-have-Skill für Ingenieure und eigentlich Anliegen der Informatiker? Auf keinen Fall, denn mehr denn je, muss hier Interdisziplinarität eine Rolle spielen. Und zwar jeder Ingenieur nach seiner Expertise. Hendrik van der Valk bringt es auf den Punkt: »Die Elektrotechniker und Maschinenbauer z.B. werden mehr auf die Hardwareseite zielen, aber mit ihrem Domänenwissen auch bei der Transformation der Arbeitsprozesse in die virtuelle Welt beitragen können. Wirtschaftsingenieure gestalten hingegen eher die Arbeitsprozesse und entwickeln die Geschäftsmodelle.« Diese Fähigkeiten nennt der Experte essentiell für die gelingende Zukunft der Zwillingstechnologie – und das sowohl für Ingenieure, als auch für ITler. Wichtig sei, »dass man die jeweils andere Seite in der eigenen Vertiefung bei der Fächerwahl berücksichtigt und seine eigene Welt verlässt.«
Twin Skills?
Woran allerdings kein Ingenieur vorbeikommt, ist die Aus- einandersetzung mit den großen Themen der Industrie 4.0. »Internet of Things, Big Data, Semantik und auch Simulationen«, sind einige der essentiellen Schwerpunkte, die Hendrik Haße vom Fraunhofer ISST zukünftigen Spezialisten des digitalen Twins empfiehlt. Weiterhin bleibe es für Ingenieure sehr relevant »ein tiefes Verständnis für die jeweils betrachteten Prozesse oder Anlagengüter zu haben, die mit einem digitalen Zwilling repräsentiert werden sollen.« Wie immer erlangt man das natürlich am besten durch die Praxis. Daher lohnt es sich für
Ingenieurstudierende mit Hang zur digitalen Transformation bereits während ihrer Hochschulzeit durch Praktika einen ganz konkreten Blick in Unternehmen zu werfen, die digitale Zwillinge einsetzen. Auch als Abschlussarbeit bietet sich das Thema an, um bei innovativen Arbeitgebern zu punkten.