Wie wird IT grüner?
Zwei Wege. Gleiche Richtung?
Ein angestrengtes Aufatmen. Das sollte wohl niemandem momentan komplett fremd sein. Unsere Gesellschaft steht vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Zumindest in Ansätzen sind diese Wege der Zukunft schon angelegt. Doch wäre das konkrete Pflastern dieser Straßen zum Horizont nicht schon schwierig genug, scheinen manche von ihnen in weiter Ferne miteinander zu kollidieren. Da ist zum einen die Digitalisierung. Unternehmen, Behörden und Schulen sollen generalüberholt werden. Faxgeräte raus, Smartboards und Tablets für alle rein. Doch wie bitteschön verträgt es sich mit dem Kampf gegen den Klimawandel, wenn alles mit brandneuer Technik ausgestattet werden soll und dabei nicht nur immer mehr Seltene Erden und Metalle verbraucht werden, sondern auch der Stromverbauch massiv ansteigt? Auch zunehmende IT-Dienstleistungen tragen dazu ein ganzes Stück bei. Gleichzeitig sorgt die Informatik aber auch durch Apps oder KI-Anwendungen für den Klimaschutz. Die Frage ist: Wiegt dieser Beitrag der IT ihren eigenen Klimafußabdruck auf?
Hot oder Schrott
Im aktuellen »Nachhaltigkeitsmonitor« der Gesellschaft für Informatik aus dem April 2022 geben 39,9 Prozent der Befragten an, dass digitale Technologie unserer Umwelt eher nutzen könnte. Demgegenüber sprechen sich 19,1 Prozent für einen größeren Schaden aus. Diese Ergebnisse sprechen zwar für einen leichten Digitalisierungs-Optimismus, die große Umweltbelastung der IT kann allerdings nicht wegdiskutiert werden. Der Think-Tank »The Shift Project« schätzt, dass bis zum Jahr 2025 die Digitalwirtschaft bis zu acht Prozent der globalen CO2-Emissionen ausmachen könnte. Auch der massive Stromverbrauch – gerade von Rechenzentren – sowie der entstehende Altgeräte-Schrott belasten die Umwelt massiv. Um es auf den Punkt zu bringen, muss für nachhaltigere IT an drei Stellrädern gedreht werden: Herstellung, Nutzung und Entsorgung. In allen drei Bereichen bedarf es vor allem zunehmender Effizienz. Das bestätigen auch Jana Rückschloss und Jan Druschke vom Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM: »In der IT ist Rechenarbeit mit dem geringstmöglichen Stromverbrauch erstrebenswert. Dafür sollten zum Beispiel die erforderlichen Daten dort gepuffert werden, wo die Rechenarbeiten entstehen. Das vermeidet Datenverkehr.« Tatsächlich könne auch die Wahl der Programmiersprache einen zunehmenden Einfluss auf die Energieeffizienz haben, wie die Experten meinen: »Je nach Geschwindigkeit der Sprache und Nutzung des Caches ergeben sich unterschiedliche Energieverbräuche. Im Einzelnen macht das wenig aus, bei immer wiederkehrenden Rechenaufgaben und global betrachtet kann die Wahl einer effizienten Programmiersprache sich dann aber beachtlich aufsummieren.«
Ohne Strom geht nix!
So unterschiedlich und komplex die verschiedenen IT-Anwendungen auch sein mögen, alle haben eines gemeinsam: Ohne Strom funktioniert nichts. Nicht nur kommt es darauf an, ihn möglichst vollständig aus erneuerbaren Energien zu beziehen, sondern sinnvoll mit diesem Strom umzugehen. »Allein der durch Rechenzentren verursachte Stromverbrauch wird laut Hochrechnungen von IT-Experten von 2015 bis 2025 um mehr als 60 Prozent steigen«, weiß Christian Hoffmeister, Chief Information Officer beim IT-Dienstleister »GREEN IT«. Dieser Anstieg biete jedoch die Chance »durch wenige Hebelbewegungen schnell zu mehr Effizienz zu gelangen«. Mit »GREEN IT Cloud driven by windCORES« bietet das Unternehmen einen smarten Ansatz, um die Stromversorgung für Server und Cloud-Dienste aus erneuerbarer Energie zu speisen – direkt dort, wo sie produziert wird: im Turm einer Windkraftanlage. Ein Transport des Stroms ist nicht mehr notwendig, was ihn dadurch auch günstiger macht. Doch auch die Stromerzeugung direkt am Unternehmensstandort sorgt für kürzere Wege und somit ein Plus in Sachen Nachhaltigkeit: »Wenn das Unternehmen energetisch unabhängig werden soll, sind eigene Solaranlagen eine geeignete Lösung«, schlägt Christian Hoffmeister vor. »Stationäre Photovoltaik wird oft schon nach wenigen Jahren rentabel und senkt die entsprechenden Emissionen dauerhaft auf Null.« Nun sind es aber nicht nur große Investitionen wie diese, die ein Unternehmen für nachhaltigere IT vornehmen kann. Gerade mithilfe kleiner Routinen kann viel gelingen.
Mehr Druck, aber kein Drucker
Natürlich ist die Verantwortung für klimafreundliche IT nicht auf die Unternehmen allein abzuwälzen. Es braucht die Entscheidungen der Regierung, flächendeckend auf erneuerbare Energien umzustellen und auch die Forschung, um Technik ständig zu optimieren. Das geschieht auch am Fraunhofer IZM. »Innerhalb der Abteilung Environmental and Reliability Engineering forschen wir in den Bereichen Lebenszyklusanalysen, Recycling und Materialkritikalität«, berichten Jana Rückschloss und Jan Druschke. »Unsere Tätigkeiten erstrecken sich über Sensoren, Server, Telekommunikationsinfrastruktur aber auch Endnutzergeräte wie Smartphones, Tablets, Smart TVs und Haushaltsgeräte. Gemeinsam mit der Industrie, Forschung und Politik entwickeln wir Guidelines und Regulierungen für kreislaufgerechtes Produktdesign und unterstützen so den Wandel von der aktuell noch vorherrschenden linearen, zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft.« Bis zur Ausreifung der Technik ist es natürlich noch ein langer Weg und wahrscheinlich nie vollständig abgeschlossen. Auf bahnbrechende Erfolge in Sachen klimaneutraler IT zu warten, kommt für Unternehmen deshalb nicht in Frage. Der richtige Zeitpunkt zu handeln ist jetzt. Das sollten gerade Informatiker kurz vor ihrem Einsteig ins Unternehmen auf dem Schirm haben. Dabei sind es oft viele kleine Dinge, die im Großen ihre Wirkung zeigen. »Ein praktischer Ansatz ist der sparsame Umgang mit Speicherplatz«, schlagen Druschke und Rückschloss vor, »Für Treibhausgasemissionen sind in der Computertechnik unter anderem SSDs, CPUs, PCBs und die Arbeitsspeicher relevant. Die Sensibilisierung der eigenen Mitarbeiter ist ein weiterer Baustein – Stichworte sind Nachtabschaltung, korrektes Runterfahren der PCs und unnötige Remote-Verbindungen zu vermeiden. Zudem sollte vorhandene IT-Ausstattung möglichst lange genutzt werden.« Auch ein Mindset, welche technischen Geräte eigentlich gebraucht werden, ist ziemlich hilfreich – Stichwort: Drucker. Müssen wirklich alle Formulare ständig ausgedruckt werden? Experten und Expertinnen aus dem Hause GREEN IT weisen darauf hin, dass es auch auf den Druckertyp ankommen kann: »Hinsichtlich der Nachhaltigkeit mag es überraschen, dass Tintenstrahltechnologie der Lasertechnologie überlegen ist – tatsächlich ist sie qualitativ mindestens gleichwertig, dabei aber erheblich ressourcen- und umweltfreundlicher.«
Wie wird es grüner durch IT?
Klima statt Knete?
Nun ist es für Unternehmen immer eine Frage der Abwägung. An erster Stelle steht meistens der Profit. Oft stellt man sich daher die Gretchenfrage: Ökonomie oder Ökologie? Gibt es Wege, wie beides miteinander vereinbar ist? »Nachhaltigkeit muss in der IT eta-bliert werden, und zwar in Form von ressourcenschonenden und skalierbaren Lösungskonzepten für den digitalen Büroalltag«, so die Meinung von Christian Hoffmeister. »Dabei ist es für Unternehmen nicht teurer, wenn sie auf nachhaltige Konzepte umsteigen. Im Gegenteil: Grundsätzlich sind die Implementierungskosten für Green IT-Lösungen nicht höher als andere, vergleichbare Systeme. Unternehmen mit grüner IT profitieren von einem Konzept mit Dreifachnutzen: Reduktion der Kosten, Verbesserung der technischen Infrastruktur und Entlastung der Umwelt.« Der Fokus liege dabei stets auf Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Innovation, so der CIO des Unternehmens GREEN IT.
Digital in die Zukunft
Doch selbstverständlich gibt es noch eine andere Seite der Medaille. Der digitale Fortschritt hat auch positive Auswirkungen auf das Klima. Das zeigen schon ein paar Beispiele, die jeder auf dem Schirm hat: So war die Corona-Pandemie ein unfreiwilliger Antrieb für digitale Einsatzmöglichkeiten. Auf einmal wurde das Kommunizieren via Zoom und Teams fast überall möglich und ersetzte persönliche Treffen. Flüge rund um die Welt konnten so eingespart werden und dadurch auch eine ganze Menge CO2. Und auch die zunehmende Sensorsteuerung und Automation von analogen Geräten – beispielsweise im Smart Home – sorgt für eine ganze Menge Klimaschutz: Heizungen, Glühbirnen und Fenster können so auf sinnige Weise programmiert werden, dass möglichst wenig Energie verschwendet wird. Positive Auswirkungen wie diese sind mittlerweile vielen geläufig. Doch wie der aktuelle »Nachhaltigkeitsmonitor« der Gesellschaft für Informatik zeigt, gibt es noch einiges an Nachholbedarf bezüglich der Vermittlung von Innovationen. Auf die Frage »Fühlen Sie sich über den möglichen Nutzen digitaler Technologien für den Umwelt- und Klimaschutz gut informiert?« antworten 43 Prozent der Befragen mit Nein. Ganze 74,1 Prozent fordern mehr Aufklärung, wie digitale Technik gegen die Klimakrise angewendet werden kann. Angesichts dieser Zahlen äußert sich Bundesumweltministerin Steffi Lemke im »Nachhaltigkeitsmonitor«. Es ginge »darum, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren und Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen. Das BMUV (Bundesministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz) führt in den letzten Jahren verstärkt Projekte und Kampagnen zum Zusammenhang von Digitalisierung und Nachhaltigkeit durch.« Als Beispiele nennt die Ministerin die umweltpolitische Digitalagenda, verschiedene Förderinitiativen und Web-Kampagnen.
How to KI-ll the climate change
Es wäre prima, wenn ITler einfach ein Wunderprogramm coden könnten, das alle Klimaprobleme löst. Die Herausforderungen sind allerdings viel zu komplex. Es muss genau geprüft werden, in welchen Bereichen digitale Ansätze sinnvoll sind. Das haben sich Forschende des Instituts für Innovation und Technik (iit) vorgenommen. In der Studie »Nachhaltigkeit durch den Einsatz von KI« wollen sie eine Anwendungshilfe für Unternehmen geben, inwiefern Künstliche Intelligenz als »Treiber für volkswirtschaftlich relevante Ökosysteme« dienen kann. Die Autoren Dr. Steffen Wischmann, Stephan Richter und Johannes Mock gehen auf zwei zentrale Aspekte ein: Wie können KI-Anwendungen Nachhaltigkeitspotentiale erschließen und wie kann Künstliche Intelligenz selbst nachhaltiger werden? In der Studie untersuchen die Forschenden insgesamt zwölf Use Cases und ihre Wirkung auf die von der UN definierten Nachhaltigkeitsziele. Zu den untersuchten Fällen gehören unter anderem verschwendungsminimierende Produktionssysteme in der Lebensmittelherstellung, punktgenaue Düngsysteme in der Landwirtschaft oder auch KI-unterstützte Paketlogistik auf der letzten Meile. Insgesamt konnte bei neun der zwölf Use Cases eine positive Wirkung erzielt werden – insbesondere bei der Vermeidung von Treibhausgasemissionen. Trotzdem sollte nicht der Eindruck entstehen, durch Künstliche Intelligenz könne jedes Klimaproblem in den Griff bekommen werden: »KI ist keine Zauberformel für Nachhaltigkeit«, erklärt Co-Autor der Studie Stephan Richter im Gespräch. »Vielmehr kann sie als ein Stein in einem komplexen Mosaik, welches eine nachhaltige Gesellschaft abbildet, verstanden werden. Und dieser Stein passt nur, wenn KI intelligent und zielgerichtet eingesetzt würde.«
Nachgefragt bei … Stephan Richter
Herr Richter, wie kann KI konkret gegen den Klimawandel vorgehen?
Eine spannende erste Frage, anhand derer wir die Richtung unseres Denkens und Handelns reflektieren sollten. KI, wie auch alle weiteren (digitalen) Technologien, gehen grundsätzlich nicht gegen den Klimawandel vor. Es ist der Mensch, der die Erwärmung des Klimas und etwaige Folgen verursacht. Nur über unser Handeln können wir die Intensität des Klimawandels beeinflussen, was wiederum unsere zukünftig notwendigen Anpassungsstrategien an ebendiesen bestimmen wird.
Wie und wo können Informatiker beruflich für mehr Nachhaltigkeit durch KI sorgen?
Grundsätzlich ist das überall möglich – mal mehr und mal weniger. Im Kontext von Entwicklungsprojekten ist dies meiner Erfahrung nach besonders spannend. Wissenschaft und insbesondere auch die Wirtschaft suchen engagierte Entwickler*innen mit Data Science Erfahrungen, um mittels KI-Anwendungen beispielsweise die Landwirtschaft der Zukunft zu ermöglichen. Stichwort: punktgenaues Düngen. Hierbei ist es wichtig im Hinterkopf zu haben, dass nicht nur die Anwendung von KI auf Nachhaltigkeit einwirken kann, sondern auch die Entwicklung der KI-Lösung nachhaltig gestaltet werden sollte.
Welche Fähigkeiten brauchen Informatiker, die Innovationen für Nachhaltigkeit entwickeln wollen?
Ein Verständnis für Nachhaltigkeit und Know-how, um Nachhaltigkeitsversprechen bewerten und einordnen zu können. Hierbei geht es nicht vorrangig um Soft Skills. Meine Empfehlung: Credit Points und vor allem wertvolle Erfahrungen in fachfremden Veranstaltungen und Vorlesungen rund um das Thema Nachhaltigkeit, Ökobilanzierung usw. sammeln. Das ist häufig sehr spannend!