Zwei Krisen im Vergleich: 2008 erlebte die Finanzwelt eine bis dato ungesehene Erschütterung, ausgelöst durch das Platzen der Immobilienblase in den USA. Die Finanzwirtschaft der beinahe ganzen Welt geriet in Turbulenzen und die staatlichen Finanzen mussten mit Risikobeteiligungen, Kredithilfen und Bürgschaften gigantische Rettungsschirme aufspannen. Die Folge: Bei Studierenden und Absolvent*innen erfuhr die Finanzwirtschaft einen enormen Image-Knacks als Arbeitgeber und Karriereförderer. Zwölf Jahre später ist die Corona-Krise da und muss in diesen Tagen immer wieder als Vergleich zur Finanzkrise herhalten – doch Corona ist von ganz anderem Kaliber: Hatte die Finanzkrise noch bewirkt, dass ein neuer regulatorischer Rahmen für ein auf lange Sicht widerstandsfähiges Finanzsystem gesichert wurde, ist die Situation jetzt eine völlig andere: Covid-19 ist für den Banken- und Kapitalmarkt ein regelrechter Innovationstreiber und Jobmotor! Laut einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte haben Kunden in der Pandemie verstärkt digitale Leistungen der Banken in Anspruch genommen. Entsprechend verzeichneten viele Digitalbanken im Neukundengeschäft beeindruckende Erfolge. Fast die Hälfte aller untersuchten Banken gab an, Live-Interaktionen mit Bankangestellten über den Bankautomaten einzuführen, einen mit Künstlicher Intelligenz ausgestatteten Roboter im Eingangsbereich von Kernfilialen zu positionieren oder Bankautomaten um branchenübergreifende Services zu erweitern. Die Verknüpfung von umfassenden Datenanalysen und Künstlicher Intelligenz ermöglicht individuell zugeschnittene Finanzdienstleistungen.
Finanzwirtschaft kommt gestärkt aus der Pandemie
»Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die globale Banken- und Kapitalmarktindustrie die Herausforderungen der Covid-19-Pandemie bisher bemerkenswert gemeistert hat«, lautet das Fazit der Deloitte-Unternehmensberater. »Angesichts der vollständigen Umstellung auf virtuelles Arbeiten in nur wenigen Wochen waren vor allem jene Geldhäuser im Vorteil, die schon vor der Pandemie in eine vollumfängliche Digitalisierung investierten.« Für Berufseinsteiger*innen ist damit der wichtigste Grund genannt, warum die Karriereaussichten in der Finanzwelt derzeit ausgesprochen gut sind: Der Umbau der Finanzbranche hin zu einem globalen Netzwerk aus FinTechs war schon vor Corona in vollem Gange und hat die Arbeitgeber jetzt in die beste Startposition gebracht, um attraktive Einstiegsmöglichkeiten und Karriereperspektiven zu bieten. FinTech steht für FINanzTECHnologie – und bedeutet genau das: Fin- Tech-Unternehmen machen Finanzdienstleistungen fit für die Zukunft – mit digitalen Prozessen, Online-Plattformen und Apps. Oder anders gesagt: Mit FinTechs bleibt Onkel Dagoberts Geldspeicher leer, weil sein Buchhalter das Vermögen nicht in Münzen, sondern in virtuellen Bitcoins angelegt hat: Entenhausen reloaded. Das zeigt aber auch, wie sich die Berufsprofile und die Struktur der Arbeitgeber*innen verändern: Fin- Techs können sowohl klassische Banken und Versicherungen sein, die zukunftsorientierte Technik-Dienstleistungen anbieten. Jobs vergeben aber auch zahlreiche Start-ups, die sich auf digitale Finanzdienstleistungen spezialisiert haben. Das können Geldanlagen, Vorsorge und Consulting, aber auch mobile Bezahllösungen oder Social Trading-Lösungen sein.
Zahlen-Cracks mit Programmier-Kenntnissen
Durch den FinTech-Trend entstehen neue Aufgaben und Herausforderungen. Die besten Studienvoraussetzungen für eine Karriere bei FinTechs bringen ITler*innen, BWLer*innen mit Schwerpunkt Bank oder Versicherung und idealerweise Consulting mit. Entscheidend sind Programmier-, Business Development- oder Finanzkenntnisse. Da FinTechs häufig Start-ups sind, wird auch ein ganz bestimmter Typ an Nachwuchskräften gesucht: »Der Wettbewerb um Talente ist voll im Gange«, bestätigt Andreas Krischke, Gründer und Geschäftsführer von Indigo Headhunters. »FinTechs suchen Leute, die eine gewisse Portion Pioniergeist mitbringen. FinTechs gelten als innovativ, schnell und dynamisch. « Für Frauen sind die Karrierechancen in FinTech-Unternehmen gut: Die Hälfte des Personals ist weiblich und knapp ein Drittel der Führungskräfte sind Frauen.
Immer mehr Hochschulen bieten spezialisierte Studiengänge an, zum Beispiel die TU München mit dem Lehrstuhl für Digital Finance oder die Uni Bremen mit ihrem BWLLehrstuhl, Schwerpunkt Finanztechnologie und -dienstleistungen. Um im digitalen Wandel Schritt zu halten, bieten auch zahlreiche klassische Banken moderne Studien- und Ausbildungsgänge an. Bei der VR-Bank helfen beispielsweise Azubis zum IT-Systemkaufmann bei der Einrichtung moderner Kommunikationsformen wie Video-Telefonie. Im dualen Studium »Management und Digitalisierung« der Targobank analysieren Nachwuchskräfte die Trends am Markt und untersuchen, welche neuen Produkte und Services sich Kunden wünschen.
Mit konkreten Zahlen für den aktuellen Personalbedarf im FinTech-Segment halten sich die Arbeitgeber – wie in allen anderen Branchen – wegen Corona derzeit noch bedeckt, doch dass die Nachfrage nach Köpfen, die das Programmieren und Finanzwissen verbinden, immer weiter steigt, ist unter Personaler*innen kein Geheimnis. Die Beschäftigungskomponente des Arbeitsmarktbarometers des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung legte zuletzt um 3,2 Punkte auf 106,5 Punkte zu.
Brexit als Geburtshelfer
Was für Berufseinsteiger*innen hinzu kommt: Wegen des Brexit haben bisher über 400 Banken, Finanzdienstleister und FinTechs ihren Sitz von London in die EU verlagert. Analyst*innen von New Financial rechnen damit, dass künftig noch mehr britische Finanzdienstleister*innen ihre Aktivitäten verlagern. »Wir stehen erst am Ende des Brexit-Beginns«, heißt es in einer New Financial- Studie. So könnten bis Ende 2022 knapp 3.500 neue Arbeitsplätze allein in Frankfurt am Main entstehen. Die Standort-Initiative Frankfurt Main Finance rechnet gar langfristig mit 10.000 neuen Jobs, die dank des Brexit am FinTech-Hot Spot Frankfurt geschaffen würden. In der Job-Hitparade der FinTechs ist Frankfurt übrigens nur auf Platz drei – hinter Hamburg und München.