Rebekka und Diego haben sich vor mehr als zehn Jahren kennengelernt und sich ineinander verliebt. Klingt erstmal nicht außergewöhnlich, aber Rebekka kommt aus Deutschland und Diego aus Argentinien. Die beiden haben sich während des Bundesfreiwilligendienstes in Argentinien kennengelernt. Nach einem Jahr ging es für Rebekka zurück in die Heimat. »Zu Beginn war es sehr schwierig mit der Distanz umzugehen, aber wir haben uns beide dafür entschieden, die Entfernung für unsere Beziehung in Kauf zu nehmen«, erinnert sie sich. Hilfreich waren regelmäßige Telefonate – neben Uni, Arbeit und Zeitverschiebung müsse zwar etwas Terminjonglage betrieben werden, aber es sei definitiv machbar, so Diego. Schnell hatten die zwei Verliebten den Entschluss gefasst, dass sie zusammen in Deutschland leben möchten: »2013 kam Diego nach Deutschland, die Termine bei der Ausländerbehörde waren wahnsinnig zehrend, aber wir wussten immer, dass es die Mühe wert ist«, beschreibt Rebekka. Seitdem sind die beiden unzertrennlich und echte Experten zum Thema Fernbeziehung.
Fernbeziehung – Wer macht denn sowas?
Ebenfalls Expertin in diesem Gebiet ist Lisa Fischbach. Die Psychologin arbeitet bei der Datingplattform ElitePartner und gibt eine Einschätzung, wie viele Studis in einer Fernbeziehung leben: »Der Anteil der Studierenden, die in einer Fernbeziehung leben, dürfte recht hoch sein. In der bevölkerungsrepräsentativen ElitePartner-Studie von 2019 haben wir mehr als 4.000 Personen dazu befragt. In der Altersgruppe der 18-29-jährigen hatten bereits 47 Prozent der Akademiker*innen mindestens eine Liebe auf Distanz. Die könnte zwar auch in die Zeit nach dem Studium gefallen sein, dennoch lässt sich auf einen hohen Anteil schließen.« Die Zahlen der Studie seien noch aussagekräftig, denn gesamtgesellschaftliche Trends und grundlegende Einstellungen in Bezug auf Beziehungen seien recht stabil und verändern sich nicht so schnell wie in anderen Bereichen. Bei Nichtakademikern führten bisher hingegen nur 36,7 Prozent der befragten 18-29-jährigen eine Fernbeziehung.
Traumprinzen fahren Bahn
… denn hoch zu Ross wären die durchschnittlichen Distanzen von 100 bis 200 Kilometer Entfernung zwischen den Wohnorten doch schwer zurücklegbar. Große Distanzen fordern mehr Planung und erlauben weniger Spontanität, so die Psychologin, besonders schwierig sei es, wenn das Paar in unterschiedlichen Zeitzonen lebe. Bei geringeren Distanzen seien auch Besuche unter der Woche oder bei akuter Sehnsucht möglich – auch zur Versöhnung nach einem Streit sei ein Besuch bei kurzer Distanz besser umsetzbar, so Fischbach. Nichtsdestotrotz: »Fernbeziehungen können sehr gut funktionieren, sie bringen nur andere Herausforderungen mit, als Beziehungen innerhalb einer Stadt«. Distanz könne laut Fischbach die Liebe sogar frisch und lebendig halten – Die Zahlen der ElitePartner-Studie zeigen, dass 8,9 Prozent der Befragten den Freiraum schätzen, den sie durch eine Fernbeziehung erhalten. »Besonders unabhängige Personen, die gut mit sich alleine sein können, genießen die Abwechslung zwischen Phasen der Nähe und viel Freiraum«, erläutert sie die Zahlen. Durch die Ferne entstünden weniger Alltagsroutinen, wodurch die Treffen länger etwas Besonderes blieben und mehr Raum für Sehnsuchtsgefühle und Freude beim Wiedersehen bestehe, so die ElitePartner-Expertin.
Distanz & Liebe?
Eine Fernbeziehung ist allerdings nicht jedermanns Sache: 30,2 Prozent der befragten Personen geben an, dass eine Fernbeziehung für sie nicht in Frage kommt. Weitere 40,2 Prozent sagen in der Umfrage, dass eine Fernbeziehung nicht ihr Wunsch ist, sie sich aber darauf einlassen würden, wenn es passiere. Weit mehr als die Hälfte der über 4.000 Personen stehen einer Fernbeziehung also nicht sonderlich positiv gegenüber. »Die Aussicht auf Veränderung bzw. einen gemeinsamen Wohnsitz lässt die grundsätzliche Bereitschaft, sich auf eine Fernbeziehung einzulassen, wachsen«, erklärt Psychologin Fischbach. Die Zahlen der Umfrage stützen diese Aussage, denn 20,8 Prozent aller Studienteilnehmer geben an, dass für sie eine Fernbeziehung in Frage kommt, wenn es grundsätzlich Aussicht auf Veränderung gibt.
Castrop-Rauxel ist nicht Timbuktu
Wie gut oder schlecht eine Fernbeziehung klappt, ist abhängig von verschiedenen Faktoren – auf viele davon können die Partner selbst keinen Einfluss nehmen. Wie häufig sich Paare sehen, hänge natürlich von der Entfernung aber auch der Infrastruktur ab, erklärt Soziologin Dr. Marie-Kristin Döbler, die zum Thema »Allein und doch nicht einsam? (Nicht-)Präsenz(en) in Paarbeziehungen« an der Uni Erlangen-Nürnberg promoviert hat. Wie gut ist die Bahnverbindung? Wie umständlich gestaltet sich die Fahrt zum jeweils anderen? Und auch ein wichtiger Faktor: Welche Kosten kommen auf mich zu? »Mit einem Bayernticket kommt man vergleichsweise günstig zum anderen und kann sich das häufiger leisten, als wenn es mit dem ICE oder dem Auto in weiter entfernte Regionen oder gar mit dem Flugzeug ins Ausland gehen muss«, erklärt Dr. Döbler, die mittlerweile am Institut für Soziologie der Uni Tübingen tätig ist. »Die Mehrzahl der in Deutschland geführten Fernbeziehungen spannen sich über einen Raum auf, der ein- bis zweiwöchentliche Treffen erlaubt – das heißt diese Beziehungen werden in der Regel innerhalb Deutschlands geführt«, beschreibt Dr. Döbler ihre Erfahrung. Gerade bei Studierenden komme es aber vor, dass die Distanz größer sei, weil beispielsweise einer der Partner ein Auslandssemester absolviert. Viele Paare meistern aber auch die größere Distanz gut, da die Fernbeziehung in diesem Fall von vornherein eine zeitliche Begrenzung hat.
Gesellschaftliche Akzeptanz
Generell muss erstmal geklärt werden, was zu einer Fernbeziehung zählt: Zum einen herrsche Uneinigkeit darüber, was überhaupt eine »Fern beziehung« ist, so Soziologin Döbler. Gibt es eine Mindestdistanz, die die beiden Partner voneinander entfernt sein müssen, oder zählt schon die Entfernung der Nachbarstädte Erlangen und Nürnberg? Zum anderen stelle sich die Frage, ab wann etwas eine Fern-beziehung ist – so würde z. B. niemand bei Jugendlichen oder sehr jungen Erwachsenen erwarten, dass das Paar zusammenlebt, dass es »ernst« genug ist, führt Dr. Döbler weiter aus. In der Forschung ist noch unklar, was zu einer Fernbeziehung gezählt werden kann beziehungsweise ab wann eine Beziehung zur Fernbeziehung erklärt werden kann. Auch in Bezug auf die gesellschaftliche Akzeptanz haben es Fernbeziehungen nicht immer leicht. Vielmals gebe es »Vorbehalte gegenüber der Ernsthaftigkeit und der Dauerhaftigkeit von Fernbeziehungen oder der Treue der Partner*innen. Aber räumliche Nähe ist nicht identisch mit emotionaler Nähe und nur weil man zusammenlebt, heißt das nicht, dass eine*r nicht untreu ist oder sich ein Paar ›ernsthaft‹ aufeinander einlässt oder sich nicht entfremdet«, erklärt die Wissenschaftlerin.
#make love work
Aber was hilft denn jetzt konkret dabei, eine Beziehung auf Distanz gut zu gestalten? Soziologin Döbler rät den Paaren, in Kontakt zu bleiben: »Lasst den*die andere*n an eurem Leben teilhaben – auch wenn er*sie gerade woanders ist.« Feste Regeln für die Kommunikation seien auch wichtig und hilfreich, denn man muss nicht immer erreichbar sein. Außerdem wichtig: Pläne schmieden und sich auch an diese halten, so die Beziehungsexpertin. Unterstützung könnte beispielsweise die App »recoupling« bieten. Das Start-up der Freien Uni Berlin hilft Paaren dabei, Beziehungsprobleme zu lösen und durch gezielte Fragen die Beziehung zu festigen. Co-Founderin Jaane Henning ist Paartherapeutin und erklärt, dass die App wunderbar von Paaren, die in einer Fernbeziehung leben, genutzt werden könne: »Jeden Tag bekommen unsere User*innen eine Impuls-Frage des Tages, die von beiden Partner*innen beantwortet und geteilt werden kann. Das Paar trackt die eigene Stimmung und Zufriedenheit in verschiedenen Beziehungsbereichen. Das ermöglicht uns, dem Paar Übungen zugeschnitten auf die individuellen Beziehungsthemen auszuspielen. Die Angaben können über den ganzen Tag hinweg gemacht werden – Paare müssen also nicht in der gleichen Zeitzone leben. Und in unserem Bereich ›Beziehung stärken‹ bieten wir 100+ Date-Ideen und über 1.000 Fragen, die sich Paare stellen können.« Ein regelmäßiges virtuelles Date bei dem zehn Fragen beantwortet werden, helfe dabei, sich näher zu kommen und die Verbindung zu stärken. Psychologin Fischbach gibt weitere Tipps gegen Fernbeziehungsblues: »Feste Rituale sind wichtig, um den fehlenden gemeinsamen Alltag zu kompensieren. Dazu sollten regelmäßige Video-Telefonate gehören, um einander auf den neuesten Stand zu bringen und die räumliche Distanz zu verringern oder die abendliche Gute-Nacht-Nachricht. Den anderen regelmäßig am täglichen Leben teilhaben zu lassen – gerade auch an den Details – schafft Nähe.« Es sei wichtig, auch in einer Fernbeziehung einen gemeinsamen Alltag zu leben, denn wer Diskussionen und Alltagsstress völlig aus dem Weg geht, läuft Gefahr, dass die Beziehung oberflächig wird, erklärt sie weiter.
Du bist mir jeden Kilometer wert
Einer der wichtigsten Punkte, wenn man sich in einer Beziehung – egal ob fern oder nah – befindet: Man muss sich vor Augen halten, weshalb man sich in dieser Beziehung befindet – was man möchte, warum man diese Beziehung führt, warum sie einem wichtig ist und weshalb man an ihr festhält. »Seid ehrlich zueinander und gesteht euch wechselseitig Freiräume zu«, schließt Dr. Döbler. Unser deutsch-argentinisches Paar hat die Schwierigkeiten und Fallstricke einer Fernbeziehung auf jeden Fall mit Bravour gemeistert – im Sommer 2022 haben für die beiden die Hochzeitsglocken geläutet.