Feld, Himmel, Sonnenuntergang, Ähren, Getreide, Wolken Credits: Unsplash/nadine redlich

Trecker fahr’n

Hightech für’n Acker: wie IT Säen, Ernten & Bewässern leichter macht.

 

Sie beschäftigt sich mit Landmaschinen. Feldhäcksler, Mähdrescher oder Güllefässer sind ihre täglichen Begleiter. Und doch sagt sie von sich: »Wer länger als eine Stunde auf dem Trecker war, weiß mehr über die praktische Landwirtschaft als ich.« Also doch keine Landwirtin... Was dann? Michaela Meyer ist ursprünglich Mathematikerin, von dort aus in die Softwareentwicklung gewechselt und jetzt Smart Data Technologist bei John Deere. Dort arbeitet sie mit ihrem Team an Algorithmen für Sensoren, die zum Beispiel Infos über die Zusammensetzung von Dünger ausgeben oder den Nährstoffgehalt des Ernteguts bestimmen. »Landmaschinen sind enorm faszinierend und technisch anspruchsvoll«, erklärt sie, »die fahren schon seit Jahren allein und funken Unmengen an Daten in die Cloud. Wenn ich mir überlege, dass Leute von Sportautos begeistert sind, finde ich Traktoren inzwischen beeindruckender.« Wer hätte gedacht, das einer der ältesten Industriezweige der Welt am besten digitalisiert ist? Wehe dem Menschen, der bei Landwirtschaft nur an verrostete Traktoren und trockene Hände denkt, die an Kuheutern Milch melken. Mittlerweile – und das in den ersten Zügen schon seit 15 Jahren – fahren Traktoren weitgehend autonom über Felder, melken Roboter das Vieh und sammeln dabei noch Daten über den Gesundheitszustand der Tiere, ermitteln Bilderkennungssoftwares den Düngerbedarf der Äcker, und intelligente Maschinen tragen spezifisch und zentimetergenau Pflanzenschutzmittel aus. Alles auf Basis von Daten.


Das biete die Chance, erklärt Ralf Kalmar, Leiter des Fraunhofer-Projekts ›Cognitive Agriculture‹, die Komplexität in der Landwirtschaft nicht komplett auf den Menschen abzuladen, sondern dass es Systeme gibt, die eine Entscheidung unterstützen. Schließlich stehen Landwirte in der Zwickmühle, möglichst ökologisch, sozial und dabei auch noch gewinnbringend zu wirtschaften. Mit dem gezielten Einsatz von intelligenten Systemen lassen sich diese Anforderungen unter einem Dach vereinen. Sichtbar am Beispiel der spezifischen Düngung: Hier wird der gleiche Ertrag erzielt, jedoch mit zehn Prozent weniger Dünger und Nitrat. Wie das funktioniert? An den Landmaschinen befinden sich Kameras, die mithilfe künstlicher Intelligenz Nutzpflanzen von Unkräutern unterscheiden und dann punktgenau behandeln. Oder sie nehmen die Bodenbeschaffenheit näher unter die Lupe. Kombiniert mit Wetterdaten lassen sich auch auf diese Weise individuelle Ackerkarten erstellen. »Ein großer Teil der Technik und Sensorik zielt darauf ab, bei gleichem Preis nachhaltiger zu sein«, fasst es Jörg Dörr, Leiter des Lehrstuhls Digital Farming an der TU Kaiserslautern, zusammen. Ein Selbstläufer ist die Digitalisierung in der Landwirtschaft trotzdem nicht. Vieles, was theoretisch möglich ist, scheitert noch an Fragen der Haftung und Regulatorik – oder an der Akzeptanz vonseiten der Landwirte. Eines der Topthemen ist die Souveränität über die eigenen Daten. Einmal geht es darum, die benötigten Infos vonseiten der Hersteller zu bekommen, andererseits greift die Frage, ob man als Landwirt dadurch gläsern wird.


Genauso wichtig wird die Interoperabilität der Systeme, derzeit ist das Ganze noch nicht allzu userfreundlich. Daran arbeitet aber zum Beispiel Katherine Meyer zu Borgen, UX Designerin bei CLAAS. Ein Team in ihrer Abteilung kümmert sich um die Terminals der Maschinen vor Ort, sie selbst arbeitet mit Kollegen vor allem in der digitalen Welt, gestaltet Websites, Portale und verschiedene Anwendungen. »Wir arbeiten auch daran, unser Portal übergreifend verfügbar zu machen«, erläutert sie. »Ein*e Landwirt*in hat selten nur von einem Hersteller Maschinen. Es geht darum, den kompletten Fuhrpark einzupflegen und über alle Maschinen eine Auswertung zu bekommen.« Momentan fehlt dazu noch der letzte Schritt: Zwar werden die Daten gesammelt und dargestellt, Ziel ist es aber, dass noch mehr Daten automatisch ausgewertet und interpretiert werden, damit die Nutzenden direkt Schlüsse daraus ziehen können. Und das ist gar nicht so einfach, denn: Die Landwirtschaft ist ein langsamer Prozess. »Bis ich einen Datensatz zusammenhabe, vergeht ein Jahr. Wenn ich rückblickend die letzten 30 Jahre analysieren will, sind das 30 Datenpunkte für ein Feld. Das ist eigentlich nichts«, so Kalmar. Dazu kommt, dass Daten wie Ackerschlagkarteien oder Stammbäume eines Rinds nicht standardisiert und bei einem Dienstleistungswechsel beinahe unmöglich zusammenbekommen zu sind. Eine Herausforderung für junge Absolventen – auch in der Forschung. Spannend wird es, weil die Berechnungen auch unkontrollierbare Faktoren wie Wetter und Bodenzusammensetzung oder Biosphäre einbeziehen müssen.


Genau deswegen hat Dörr den Lehrstuhl Digital Farming an der TU Kaiserslautern gegründet: Damit sich ITler für solche anwendungsbezogenen Bereiche begeistern können. Dass das – wenn erst mal erlebt – ganz schnell funktioniert, beweisen Michaela Meyer und Katherina Meyer zu Borgen. Beide hatten zwar keine landwirtschaftliche Vorerfahrung, arbeiten jetzt aber mit Passion in ihrer Branche. »Man sollte da gar keine Hemmungen haben. Es gibt Schulungen und ganz viele Kolleg*innen, die das erklären und am Ende ist man richtiger Fan«, lacht Meyer zu Borgen. Für ihre Arbeit ist der interdisziplinäre Austausch besonders wichtig und so hat sie täglich mit Produktmanagern, Scrummern, Backend- und App-Entwicklern zu tun. Genauso lässt sich bei John Deere zum Beispiel als Software-Architekt, Entwickler oder Data Scientist ein Beitrag zur landwirtschaftlichen Digitalisierung leisten.


Bedenkt man, dass die weltweite Nahrungsmittelproduktion in 30 Jahren doppelt so hoch sein muss wie noch im Jahr 2000, dabei aber kaum mehr Fläche zur Verfügung steht, wird deutlich, dass Smart Farming nicht nur eine Liebhaberei ist. Dörr stellt klar: »Man darf eines bei all der Technik nicht vergessen: Es geht um die Ernährung, das ist eines der absoluten Grundbedürfnisse.« Wer also einen technischen Beruf mit echtem Mehrwert sucht, wird in der Landwirtschaft schnell fündig. Neben den genannten Einsatzmöglichkeiten entstehen laufend neue Berufsfelder und auch an Entwicklungspotenzial mangelt es nicht. So zum Beispiel im Bereich Big Data, Robotik, Sensorik, Satellitentechnik oder Data Security, um nur einige Schlagwörter zu nennen. Und egal an welchem Ende ITler letztlich anpacken, für sie gilt genauso wie für Michaela Meyer: »Am Ende sorge ich mit meiner Arbeit dafür, dass Menschen ernährt und die Natur geschont wird. Das kann ich unterstützen.«


Anzeige

Anzeige