Bildquelle: privat

Materialwissenschaft schafft ungeahnte Möglichkeiten

Dieses Mal im Gespräch: Materialwissenschaftsexperte Prof. Dr. Oliver Clemens. Im Mensagespräch erfahren wir einiges über seinen Werdegang, die Situation der deutschen Materialwissenschaft und die Arbeit mit Studierenden. Außerdem bekommen wir einen detaillierteren Einblick in sein Forschungsgebiet und erfahren natürlich auch, was sein Lieblingsessen in der Mensa ist.

Herr Prof. Clemens, Sie haben Chemie an der Universität des Saarlandes studiert. Warum haben Sie sich für den Bereich der Materialwissenschaft entschieden?

Meine Diplom- sowie Doktorarbeit habe ich in der Anorganischen Festkörperchemie auf dem Gebiet der Batteriematerialien angefertigt, zum Postdoc ging es dann in die Materialchemie an die University of Birmingham. Das ist ein sehr weicher Wechsel, da ich mich ohnehin auf Grenzgebieten bewegt habe. Das zeigt sich auch darin, wie Materialwissenschaft in die Universitätsstrukturen eingebunden ist. Zuweilen findet man es in der Physik, gelegentlich ist es ein eigener Fachbereich. In Stuttgart sind wir an der Fakultät für Chemie angesiedelt, was für meine Forschungsausrichtung natürlich ideal ist. Dass die Fakultät in Kürze in »Chemie und Materialwissenschaft« umbenannt werden wird, untermauert übrigens die starke Bedeutung der Fachrichtung in besonderem Maße. Und in diesem Gebiet an spannenden Fragen zu Energiematerialien und Nachhaltigkeitskonzepten zu arbeiten, passt letztlich super zu den Herausforderungen unserer Zeit!
 

Gibt es Unterschiede zwischen der Forschung in Großbritannien und Deutschland?

In Birmingham war die Hierarchie deutlich flacher als sie es in Deutschland ist, es gab viel mehr kleinere bis mittelgroße Gruppen. Viele Forschungsgeräte und Einrichtungen wurden gemeinsam genutzt. Da geht der Trend in Deutschland sicher auch zunehmend hin und ich halte das persönlich für sinnvoll. Als ich meine Emmy-Noether-Gruppe einwarb, welche sich mit dem eher exotischen Thema der Fluorid-Ionen-Batterien mit sehr auf Grundlagen ausgerichteten Fragestellungen befasste, meinte mein ehemaliger Mentor in Birmingham: »Don’t know how you did that, I think you could not have been funded for that in the UK because it’s too basic.« Daher freue ich mich, dass wir hier durchaus diese Freiheiten haben und auch auf Themen mit Anwendungsrelevanz noch sehr grundlegend unterwegs sein können.
 

Wie sieht ihr Alltag als Professor an der Universität Stuttgart aus?

Ich schätze die Arbeit in der Forschung und Lehre sehr, versuche eine offene Tür für den wissenschaftlichen Austausch mit Studierenden und Promovierenden zu halten. Auch diverse Gremien-arbeiten finde ich spannend, insbesondere Themen wie Internationalisierung finde ich reizvoll und bin gerne bereit, mich diesen anzunehmen. Auch die Diskussionen mit Kolleg*innen im Rahmen von Tagungen und universitären Kolloquien sind immer wieder bereichernde Erfahrungen. Zugegebenermaßen dürfte es aber auch manchmal ein Hauch weniger Verwaltungsaufgaben sein.

 

Lieblingsessen in der Mensa? Vegetarischer Burger mit Pommes

Wie viele Semester studiert? 10 Semester

Nebenjob als… Gärtner

Früher Vogel oder Langschläfer? Früher Vogel

Bier oder Wein? Bier

Rucksack oder Koffer? Gepäcktasche am Fahrrad


Wie ist die Situation der Materialwissenschaft in Deutschland? Was läuft gut, was muss besser werden?

Wir haben derzeit sehr viele internationale Studierende, was die Bedeutung des Studienfachs auf internationaler Ebene und die exzellenten Berufsmöglichkeiten in Industrie und Forschung verdeutlicht. Quasi alle Absolvent*innen finden meiner Erfahrung nach adäquate Anstellungen und sind gesuchte Fachkräfte. Daher sehe ich es auch ein wenig mit Verwunderung, dass die meisten deutschen Universitäten rückläufige Studierendenzahlen in den meist deutschsprachigen und weitgehend national versorgten Bachelor-Studiengängen haben. Wir versuchen hier diesem Trend aktiv entgegenzusteuern und möchten, dass auch Schulabsolvent*innen eine klarere Vorstellung zum (zugegebenermaßen im deutschen etwas sperrigen) Begriff »Materialwissenschaft« erhalten. So haben wir zum Beispiel auch ein Rent-A-Prof-Programm mit Schulbesuchen, Praktikumsplätzen für Schüler*innen im Rahmen der Berufsorientierung am Gymnasium und bieten in Kürze materialwissenschaftliche Versuche in unserem Schülerlabor zu den Themen Batterie und Recycling an.

 


Ihre Forschung beschäftigt sich vor allem mit Batterie-Technologien. Welche Herausforderungen haben wir in diesem Bereich noch zu bewältigen?

Ich glaube, wir haben hier schon viele Lösungen auf der Hand liegen. Auch wenn hier technische Verbesserungen wünschenswert wären, mangelt es meines Erachtens insbesondere für die Elek-tromobilität oftmals auch am Mindset, um einen Wechsel hier anzugehen. Ich glaube, in Zukunft werden es viele elektrochemische Energiespeicher schaffen, auch mit weniger oder ohne derzeit kritische Materialien auszukommen und gleichzeitig noch hohe Leistungsparameter zu besitzen. Das Schöne an elektrochemischen Energiespeichern ist aber, dass vor und nach der Benutzung quasi die gleiche Menge an ursprünglich verwendeten chemischen Elementen darin vorkommt – das macht die Entwicklung sinnvoller Aufarbeitungsmethoden quasi sakrosankt und zu einer gesellschaftlichen Verpflichtung!


Welche Projekte würden Sie in Zukunft noch gerne angehen?

Ich habe meinen Forschungsansporn nie darin gesehen, etwas
Bestehendes noch um zwei Prozent besser zu machen, sondern an neuen Ansätzen und Konzepten zu forschen. Derzeit beschäftigt mich das Thema Recycling sehr, insbesondere wie man eine Kreislauffähigkeit direkt in die Materialentwicklung konzeptionell einbinden kann. Wenn wir hier mehr Konzepte haben, gewinnen und profitieren wir insbesondere als Gesellschaft!


Was macht die Arbeit mit Studierenden so aufregend?

Ich finde es spannend zu sehen, dass im Rahmen der Forschungsarbeiten nicht nur Wissenschaftler*innen sondern auch Persönlichkeiten heranreifen. Diesen Reifungsprozess zu verfolgen und zu unterstützen ist ein großes Privileg in meinem Beruf. Newton sagte: »If I have seen further it is by standing on the shoulders of Giants!« Ich interpretiere das durchaus gerne so, dass es mir meine Studierenden durch vielfältige und -zählige Arbeiten ermöglichen, mich auf ihre Schultern zu stellen, eine gute Übersicht zu haben und die Bergketten zu sehen, hinter die ich noch schauen möchte.


Haben Sie einen Appell an Studierende?

Lassen Sie sich von Neugierde leiten, seien Sie selbstkritisch und selbstbewusst zugleich und machen Sie das, was Ihnen Spaß macht – dann kommt das, was Sie als ihren individuellen Erfolg und ihr Ziel erachten, meistens ganz von selbst!
 

Oliver Clemens

ist Abteilungsleiter im Bereich Chemische Materialsynthese am Institut der Materialwissenschaft der Universität Stuttgart. Sein Hauptaugenmerk liegt auf neuen Batterie-Technologien. Seit 2013 ist er Dr.Eduard-Martin-Preisträger und 2014 erhielt er den Honorary Research Fellowship an der University of Birmingham.


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