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Reverse Culture Shock – wie viel Zeit braucht die Seele, um nachzukommen?

»Ich habe in der gesamten Zeit nur einmal geweint, und zwar, als ich auf die Fähre nach Deutschland gefahren bin – mein gesamtes ›neues‹ Leben hinter mir und all mein Besitz in meinem Auto. Ich wusste, dass ich das Leben, das ich in den letzten sechs Monaten gelebt hatte, nie wieder haben werde«, berichtet Ilona. »Es ist auch tatsächlich ein komisches Gefühl, zu wissen, dass man nun so viel reifer und älter ist, aber an seinem ›alten‹ Leben anknüpfen muss.«

Nach ihrem Auslandspraktikum in England erlebt sie wie viele andere Heimkehrer den Reverse Culture Shock. Der Schweregrad dieses Kulturschocks fällt bei jedem anders aus und hängt von verschiedenen Faktoren ab wie der Unterstützung in der Heimat, der Länge des Auslandsaufenhalts oder der Größe des Kulturunterschieds. Genauso wie du dich dem fremden Land angepasst hast, musst du dich nun wieder der deutschen Kultur annähern. Je stärker die Anpassung im Ausland stattfand, desto mehr triffst du nun wahrscheinlich auf Widerstand. Isabel, die  zwei Auslandsstudien, ein Auslandspraktikum und eine Rundreise erlebt hat, beobachtet: »Der Kulturschock wird verstärkt, wenn du nicht zurückkommen möchtest und dich gegen die Heimkehr sträubst, statt dich geistig darauf vorzubereiten. Dann bist du mit der Situation Zuhause noch unzufriedener.« Sie erklärt, dass man die Heimat und die Dinge, die einem früher normal vorkamen, danach mit einem anderen Auge sehe. Dann fallen einem auch manche Missstände auf, im Vergleich zu dem, was im Ausland besser funktioniert hat.

 

Diese Rolle als Vermittler zwischen zwei Kulturen kannst du zu deinem Vorteil nutzen, indem du aufzeigst, was bei uns besser gemacht werden kann. Besonders müssen Ilona und Isabel hier an die fehlende Leichtigkeit und den unnötigen Papierkram in Deutschland denken. Auch Patrick, der ein Praktikum auf Teneriffa absolvierte, vermisst die Mentalität der Spanier, welche er geprägt von guter Laune und Lebensfreude rund um die Uhr erlebt hat. Bereits das Klima sei dort komplett anders. Was ihm jedoch an Deutschland positiv auffällt, ist die Pünktlichkeit – sein Vermieter ist damals bei der Wohnungsübergabe zwei Stunden zu spät gekommen, was dort als normal gilt. Es ist nun möglich, dass du dich zwischen deinem Heimat- und Gastland hin- und hergerissen fühlst und vielleicht auch wieder zurück willst. Dies sollte allerdings gut durchdacht sein, um Enttäuschungen zu vermeiden. Der Alltag dort kann schließlich anders aussehen, als das Erlebnis, das du im Nachhinein vielleicht verherrlichst. Eine Urlaubsreise zu deinem früheren Gastland ist aber sicher eine gute Idee. Hilfreich ist es auch, bestimmte Gewohnheiten aus dem Ausland beizubehalten. Beispielsweise hat Patrick, der bei seiner Freiwilligenarbeit in London in einem Gospelchor war und den Samba aus Teneriffa vermisst, nun einen ähnlichen Chor in seiner Heimat gefunden und spielt Samba nun selbst auf dem Klavier. 

 

Während du weg warst, kann es sein, dass sich deine Kontakte an ein Leben ohne dich gewöhnt haben. Daher solltest du am besten  deine Ankunft ankündigen und sie nach einem Treffen fragen. Vielleicht lädst du sie zu einer Wiedersehens-/»I‘m back«-Party ein? Dort kannst du dich nach ihnen erkundigen und zugleich von deinem Auslandsaufenthalt erzählen. Auch deine Freunde aus dem Aufenthalt sind wertvoll. Damit ihr euch nicht gleich aus den Augen verliert, ist es schlau, sich direkt nach der Heimkehr in seinem jeweiligen Land zu besuchen. So hast du eine angenehme Übergangsphase und merkst als Gastgeber vielleicht, was es in deiner Heimat noch alles zu entdecken gibt. Deine sprachlichen Kenntnisse können jetzt besonders in Sprachkursen glänzen und du kannst vor Ort Leute aus dem Ausland oder andere Heimkehrer kontaktieren. So könnt ihr euch gegenseitig austauschen und werdet merken, dass ihr sicherlich viele ähnliche Themen habt. Bei Übernachtungen in Hostels oder beim Couchsurfing erlebst du übrigens eine ähnliche Atmosphäre wie bei einem Auslandsstudium, da dort auch junge und weltoffene Leute aus der ganzen Welt vorzufinden sind. Sollte dir das alles nicht weiterhelfen und du bemerkst, dass du psychische und physische Probleme kriegst, ist es ratsam, eine geeignete Therapie aufzusuchen. Ein umgekehrter Kulturschock ist eine ernst zu nehmende Identitätskrise, die im schlimmsten Fall zu Depressionen führen kann. Beginne, Familie und Freunde in dein Anliegen einzuweihen. Vielleicht haben sie ja bereits eine Veränderung an dir verspürt und müssen sich auch erst an dein neues »Ich« gewöhnen. Daher solltest du geduldig mit ihnen sein und aufpassen, nicht abgehoben zu wirken und die ganze Zeit Monologe über den Auslandsaufenthalt zu führen, in dem »alles besser war«. Auf der anderen Seite sollten sie verständnisvoll mit dir umgehen und dir keine Vorwürfe machen, weil du »sie verlassen hast«. Wenn du merkst, wie du in alte Muster verfällst, aus denen du herausgewachsen bist, kannst du dich dagegen wehren.

 

»Auf den ersten Schock im Gastland ist man vorbereitet. Man weiß, dass man sich anpassen und alles neu erlernen muss. Wenn man aber zurückkommt, dann geht man logischerweise davon aus, dass nun alles ist wie gewohnt. Der größte Schock ist eigentlich die Realisierung wie anders man während der Zeit im Ausland geworden ist«, meint Ilona. Sie ist froh, dass nach dem Aufenthalt gleich die Uni begonnen hat, sodass sie nicht so viel Zeit zum Nachdenken hatte. Das kann natürlich schaden, jedoch liegt es an dir, ob du lieber in den Erinnerungen schwelgen oder nach vorne blicken willst. Ein gesundes Mittelmaß ist wohl am besten. Die Erstellung von Fotoalben ist eine gute Art, das Erlebnis zu verarbeiten und trotzdem damit abzuschließen. Jedoch sollte das Phänomen dich keinesfalls davon abhalten, überhaupt ins Ausland zu gehen. Gerade diese schwierigen Momente machen auch die Persönlichkeitsentwicklung aus und du kommst mit mehr Erfahrung, Reife, tollen Bekanntschaften und Erinnerungen zurück. »Ich kann einfach nur sagen: Mach es, trau dich und stürze dich ins Abenteuer! Durch einen Auslandsaufenthalt lernt man, sich neu zu vernetzen. Dabei steht fest, dass man als ein anderer Mensch in die Heimat zurückkommt und die gewonnenen Erlebnisse kann einem keiner nehmen«, schwärmt Patrick.

 

Es kam mir alles bekannt vor – aber irgendwie nicht mehr vertraut. Ich fand es tatsächlich so komisch in meinem alten Zimmer zu stehen, dass ich es komplett umgestellt habe, um »neu« anzufangen. Auch habe ich nach einiger Zeit erstmals  wirklich realisiert, dass das Leben Zuhause nicht stehengeblieben ist, als ich weg war. Irgendwie machte es mich traurig zu begreifen, dass ich etwas »verpasst« hatte. Zudem musste ich mich wieder an die deutsche Mentalität gewöhnen. Ich empfand nun alle Menschen um mich herum als mürrisch und schlecht gelaunt. In England wurde ich auf der Arbeit täglich mit einem »Hi, my love« begrüßt. Auch unseren fränkischen Dialekt fand ich plötzlich schrecklich. Ich habe mich gefühlt wie ein Ausländer, obwohl ich ja nun wieder in der Heimat war.

– Ilona (Praktikum als Teaching Assistant in England)

 

Generell sollte man sich wirklich auf eine Auslandserfahrung einlassen. Es ist auf jeden Fall ein bereicherndes Erlebnis, aber man sollte sich darauf einstellen, dass es
Unterschiede zur eigenen Kultur gibt, die man zuvor nicht greifen kann. Dennoch sollte man freudig, offen und nicht verängstigt an die Sache herangehen. Der Reverse Culture Shock lässt sich vorbeugen, indem man regelmäßig Kontakt zur Heimat hält, damit man auf dem Laufenden bleibt. Außerdem ist es wichtig, sich für die Heimkehr eine Sicherheit im Alltag zu schaffen, sodass man nicht mit zu vielen Veränderungen gleichzeitig fertig werden muss.

– Isabel (mehrere Auslandsaufenthalte im französisch- und spanischsprachigen Raum)


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